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Imperator Finn redete derzeit eher auf Joseph Wallace ein, als dass er mit ihm geredet hätte. Joseph Wallace seinerseits war klug genug, einfach dazusitzen und zuzuhören und auch an den Stellen zu lächeln und zu nicken, die ihm als die richtigen erschienen. Joseph freute sich nie auf die seltenen Anlässe, zu denen er in den Imperialen Palast zu einem dieser kleinen Plauderstündchen zitiert wurde. Nur selten bekam Joseph etwas zu hören, wobei er sich gut fühlte. Obwohl er technisch gesehen Oberhaupt der Militanten Kirche und der Reinen Menschheit war und deshalb theoretisch der zweitmächtigste Mann das Imperiums, wusste er nur zu gut, dass er diese Position nur einer Tatsache verdankte: Finn hatte gern jemanden, auf den er einreden und den er ins Vertrauen ziehen konnte - dem gegenüber er sich gefahrlos all jener entsetzlichen Dinge rühmen konnte, die er getan hatte oder zu tun plante.

In den Privatgemächern des Imperators herrschte das Chaos in einem Maße, dass es schon an den Nerven zerrte. Finn räumte nie hinter sich auf und gewährte auch den Dienstboten keinen Zutritt mehr, wobei er von der gar nicht unvernünftigen Überlegung ausging, dass sie womöglich Spione der Rebellen waren und zu ihm geschickt wurden, um ihn umzubringen. Er drehte die Beleuchtung viel zu stark auf, damit sich nichts im Schatten verbergen konnte - sogar wenn er sich schlafen legte. Überall lagen Papiere verstreut, oft mit Tellern beschwert, auf denen die Überreste alter Mahlzeiten lagen. Weitere vergammelnde Speisereste waren in den dicken Teppich getreten worden. Es stank, und nicht mal die Luftreinigungssysteme wurden damit fertig. Es sah aus wie im Bau eines Tieres, entschied Joseph. Eines großen und mächtigen Raubtieres, das sich nicht um Äußerlichkeiten scherte, weil es das auch nicht nötig hatte.

Finn hatte sich in eine Stellung aufgeschwungen, in der er alles tun konnte, was ihm beliebte, und meist tat er genau das. Genauer gesagt: er tat nie etwas, was er nicht wollte. Darum ging es schließlich, wenn man Imperator war! Und doch änderte sich die Lage in seinem Imperium ständig. Was er auch tat oder befahl, es wurde fortwährend schlimmer, und Finn sah sich nicht in der Lage, den Niedergang aufzuhalten. Normalerweise hätte er sich gar nichts daraus gemacht, aber er brauchte nun mal ein starkes und stabiles Imperium, um den Schrekken abzuwehren. Und aus genau diesem Grund war Joseph wieder mal so unvermittelt gerufen worden, damit Finn sich bei ihm beklagen konnte. Joseph Wallace, zweitmächtigster Mann des Imperiums, der die Macht über Leben und Tod hatte und sie auf die leiseste Laune hin ausüben konnte, saß unbehaglich in seinem bequemen Sessel und tat sein Bestes, um aufmerksam zu wirken, während Finn vor ihm auf- und abmarschierte und dabei wütend gestikulierte.

»Manchmal frage ich mich tatsächlich, ob ich nicht unter einem Fluch stehe, Joseph.« Der Imperator trat verdrossen nach einem Stapel Papiere, die sich wie Blätter auf dem fleckigen, verfärbten Teppich verstreuten. »Ich tue alles, was ich kann, bringe all die richtigen Leute um, ordne Säuberungen an und verfolge die Menschheit bis an den Punkt des Zusammenbruchs, und trotzdem funktioniert das verdammte Imperium nicht richtig! Ich möchte doch nur, dass die Leute für das Wohl des Imperiums und besonders mein Wohl die Klappe halten und tun, was man ihnen sagt. Aber sie jammern einfach nur, beschweren sich und brennen wichtige Gebäude nieder! Unordnung verbreitet sich auf den äußeren Planeten. Sogar hier auf Logres und in Parade der Endlosen ist es zu regelrechter Widersetzlichkeit gekommen. Und das in einer Zeit, in der zuverlässige Leute für mich knapp geworden sind. Es scheint, als hätte ich gestern noch Armeen von Fanatikern und Anhängern gehabt, die in ihrem Bestreben, mir jeden Wunsch zu erfüllen, über die eigenen Füße gestolpert sind - aber wo bleiben sie jetzt, wenn ich sie brauche? Ich habe nur noch Rumpfmannschaften auf wenigen Planeten zur Verfügung.« Er blieb stehen und fixierte Joseph mit glitzernden Augen. »Die Leute nutzen die Lage aus. Sie widersetzen sich meinen Anordnungen und Bestimmungen und denken, sie kämen damit durch, nur weil ich derzeit ein bisschen beschäftigt bin. Sie haben inzwischen sogar den Eindruck, sie könnten unangefochten auf offener Straße herumlaufen. Das dürfen wir einfach nicht hinnehmen, oder? Meine Friedenshüter müssten Respekt, Furcht, Grauen und einen dringenden Fluchtimpuls auslösen. Eine eingeschüchterte Bevölkerung ist eine gehorsame Bevölkerung, nicht wahr, Joseph?«

»Oh, natürlich, Eure Majestät! Absolut! Die Leute sollten wissen, wo ihr Platz ist.«
»Ich bin froh, dass Ihr es so seht, Joseph. Denn ich möchte, dass Ihr sämtliche Materiewandler nehmt, über die Ihr verfügt, und sie auf Umlaufbahnen über den störrischsten Planeten bringt. Dann werde ich den hinterhältigen kleinen Bastarden erklären, dass sie sich entweder benehmen oder ich sämtliche Lebewesen auf ihrem jeweiligen Planeten zu Protoplasmaschleim reduzieren lasse. Das müsste eigentlich die dort gehegten Auffassungen wunderbar in Reih und Glied zurückführen! Warum macht Ihr so ein finsteres Gesicht, Joseph? Ihr wisst, dass ich es verabscheue, wenn Ihr ein finsteres Gesicht macht, besonders dann, wenn ich mich als Visionär betätige.«
»Oh, es ist ein ausgezeichneter Plan, Eure Majestät, nur... na ja, wir haben nach dem, was auf MogMor passiert ist, nicht allzu viele Materiewandler übrig. Ihr... wir haben die meisten Geräte dort in Stellung gebracht, um sich mit der Mog-Mor-Gefahr zu befassen, und fast alle wurden zerstört. Ihr erinnert Euch bestimmt, dass es viel Zeit und Geld kostet, Materiewandler zu bauen. Die Arbeit daran macht Fortschritte, aber ...«
»Joseph!«, mahnte ihn Finn in ruhigem und sehr gefährlichem Ton. »Erzählt mir etwas, was ich hören möchte, oder ich lasse Euch die Hoden zusammennähen!«
»Natürlich wissen die Leute ja nicht, wie knapp wir an Materiewandlern sind«, sagte Joseph und reagierte in vollem Lauf sehr flexibel. »Was an Eurer weisen Entscheidung liegt, jede Berichterstattung über die Vorfälle auf Mog-Mor zu verbieten. Also müssten wir, indem wir Materiewandler über ein paar ausgewählten Planeten postieren, in der Lage sein, die übrigen Welten mit der angedeuteten Bedrohung zu bluffen.«
Finn schniefte laut. »Ich bluffe nicht gern. Ich stelle gern fürchterliche Dinge mit Leuten an, die mich ärgern. Und ich kann es mir nicht leisten, eventuell mit einem Bluff zu scheitern. Die meisten äußeren Planeten warten doch nur auf ein deutliches Zeichen der Schwäche bei mir, und schon brechen die undankbaren kleinen Scheißer einen Aufstand vom Zaun. Und wo einer vorausgeht, folgen ihm weitere ... Vielleicht sollten wir auf jeden Fall einen Planeten zerstören, nur um zu zeigen, dass wir es ernst meinen, Ja, das gefällt mir! Sucht mir einen Planeten, den niemand vermissen wird, Joseph, und postiert einen Materiewandler im Orbit. Und eines Tages werde ich, wenn ich mal wirklich deprimiert bin ... ein nettes kleines Feuerwerk veranstalten.«
Er warf sich glücklich in einen Sessel, Joseph gegenüber, und schlug wohlig ein Bein übers andere. »Wären doch nur alle meine Probleme so leicht zu lösen! Die meisten meiner Getreuen bemannen derzeit die Flotte, die ich den Streitkräften des Todtsteltzers entgegengeschickt habe. Dieser Mann ist wirklich lästig! Ich habe seine ganze Familie umgebracht, und er versteht den Hinweis immer noch nicht. Aber meine Flotte wird dem ein Ende bereiten. Ich habe die Schiffe mit den besten militärischen Planern und den eifrigsten und entschiedensten Fanatikern bemannt, nur um absolut sicherzugehen, dass niemand Hemmungen hat, auf die anderen Schiffe zu feuern. Noch immer keine Meldung, wenn ich Euch richtig verstehe? Nein, natürlich nicht. Noch zu früh. Aber ich möchte, dass es bald passiert. Ich möchte von einem gewaltigen Sieg hören und von Hunderten Schiffen, die in der Nacht brennen. Ich möchte Lewis' Kopf auf einem Stachel stecken sehen ... Ich brauche einen Sieg, Joseph! Eine wirklich eindrucksvolle Demonstration meiner Stärke und der Bösartigkeit und Erbarmungslosigkeit, die ich meinen Feinden gegenüber an den Tag legen kann! Ich brauche etwas, was die Bauern einschüchtert und davon abhält, irgendetwas anzustellen, was vielleicht bei mir Beachtung findet. Sie verehren mich einfach nicht mehr so wie früher, die undankbaren kleinen Scheißer. Ich wusste ja von jeher, schon zu meiner Zeit als Paragon, dass die Öffentlichkeit wankelmütig und nicht vertrauenswürdig ist. Wie oft ich mich schon neu erfinden musste, nur um im Licht der Öffentlichkeit zu bleiben ...! Und so scheint es, dass ich gezwungen bin, verzweifelte Maßnahmen zu ergreifen.«
Er lächelte Joseph an und wartete darauf, dass dieser die nahe liegende Frage stellte. Joseph dachte panisch nach. Was zum Teufel konnte Finn sonst noch im Schilde führen, das schlimmer wäre, als einen ganzen Planeten mit einem Materiewandler zu vernichten?
»Was genau ... schwebt Euch vor, Eure Majestät?«
»Ich werde eine Abmachung mit den Elfen treffen und ihre Besessenen benutzen, damit sie auf den Straßen Ordnung und Disziplin wiederherstellen. Natürlich unter meinem Banner. Die werden sich von den Bauern nichts gefallen lassen. Wenn die Leute glauben, es ginge ihnen schon schlecht, dann sollen sie mal warten, bis sich die Elfen an die Arbeit gemacht haben! Die Elfen sind so wundervoll erfinderisch, wenn es darum geht, Menschen zu terrorisieren.«
»Die Elfen?«, fragte Joseph schließlich, zu entrüstet, um sich auch nur um einen ungerührten Tonfall zu bemühen. »Ihr müsst verrückt sein! Ihr könnt denen nicht trauen!«
»Ich traue niemandem«, stellte Finn gelassen fest.
»Aber ... ich dachte, die Elfen würden nicht mehr mit Euch reden? Ihr habt vor einiger Zeit sehr ... vehement darauf reagiert, dass sie Euch enttäuscht und im Stich gelassen haben.«
»Ah«, sagte Finn und grinste breit. »Es scheint, als hätten die Anführer der Elfen und die Überesper in jüngster Zeit Differenzen gehabt, was die Führungsrolle angeht. Beide haben unabhängig voneinander Kontakt zu mir aufgenommen und ihre Dienste im Gegenzug dafür angeboten, dass ich ihnen beistehe. Und es war nun wirklich nicht gerade einfach, beide zu überreden, mit mir zusammenzuarbeiten. Das wird natürlich nicht von Dauer sein; solche Arrangements sind es nur selten, aber so lange ich mein Spiel des Teilens und Herrschens mit ihnen treibe, sind sie viel zu beschäftigt damit, sich gegenseitig zu stürzen, als dass sie auch nur auf die Idee kämen, mich zu hintergehen. Das alles bleibt natürlich unter uns! Die Leute würden es nicht verstehen. Ich erzähle es Euch nur, weil Ihr es erfahren müsst, denn die Gedankensklaven werden die Uniformen Eurer Militanten Kirche tragen. Und weil es ein einfach zu tolles Geheimnis ist, um es für mich zu behalten. Ah, Joseph, manchmal ist es der Ausdruck des Schrekkens und Grauens in Eurem Gesicht, der mir alles so lohnend erscheinen lässt! Die Elfen bringen für mich Furcht und Terror zurück auf die Straßen, und alles wird wieder sein wie früher. Das ist mein Imperium, Joseph, und niemand wird es mir wegnehmen!«

Und so machten sich Tausende von Elfensklaven, unschuldige Männer und Frauen, besessen von kalten und mächtigen Gehirnen, auf, die Straßen von Logres zu patrouillieren und ganz besonders die von Parade der Endlosen. Die Ironie des Umstandes, die Ordnung aufrechtzuerhalten und dies in den Uniformen der Reinen Menschheit und der Militanten Kirche zu tun, machte den Elfen enorm Spaß, und sie nutzten jede Gelegenheit, den Ruf der esperhassenden Gruppen zu ruinieren, die sie vorgeblich repräsentierten. Sie setzten Ordnung und strenge Disziplin mit Hilfe demütigender und erschreckender Bestrafungen für selbst die kleinsten Verstöße durch. Sie zeigten dabei eine große Vorliebe für Aufhängen, Kreuzigen und Verbrennen. Die Toten wurden zurückgelassen, damit sie auf den Straßen verwesten und anderen zur Warnung gereichten, Allzu bald fürchteten sich die Menschen davor, überhaupt noch auf die Straße zu gehen. Die neuen Friedenshüter waren überall und suchten nur noch Ausreden dafür, ihrer Autorität durch Angst und Leid Geltung zu verschaffen. Die Menschen gingen nicht mal mehr zur Arbeit, aus Angst, unterwegs angehalten zu werden. Falls sie überhaupt hinausgingen, um sich Lebensmittel und andere Erfordernisse zu beschaffen, taten sie es in Gruppen, erschraken vor jedem Schatten und hielten sich jederzeit bereit davonzulaufen. Und langsam, aber unaufhaltsam brachen das gesellschaftliche Leben und jede Geschäftstätigkeit auf Logres zusammen. Läden wurden geschlossen, da niemand mehr ihre Waren kaufte. Unternehmen schlossen, weil niemand mehr zur Arbeit kam. Die Grundversorgung kam ebenfalls zum Erliegen, denn die allgegenwärtigen Shub-Roboter, die sich normalerweise um solche Dinge kümmerten, arbeiteten nicht mehr, und niemand sonst verstand sich auf ihre Tätigkeiten.

Als wäre das alles noch nicht erschreckend genug, geschah in der Arena noch Schlimmeres. Die Elfen hatten einen Preis für ihre Hilfe verlangt, und somit hatte ihnen Finn die Arena zur persönlichen Verwendung übertragen. Und auf dem alten blutigen Sand spielten die Elfen ihre gräulichen Spiele, auf dass alle Welt sie miterlebe. Zunächst ergriffen sie einfach von den schon tätigen Gladiatoren Besitz und hetzten sie aufeinander. Aber die Elfen hatte ihre neuen Spielsachen bald kaputt gemacht, und so schickten sie Friedenshüter los, damit sie aufs Geratewohl in die Häuser der Umgebung einbrachen und die Bewohner als Frischfleisch in die Arena schleppten. Männer, Frauen und Kinder endeten auf dem blutigen Sand, einige von ihnen besessen, andere nicht, und die Elfen trieben es kontinuierlich schlimmer. Die gepeinigten und hilflosen Sklaven setzten die wüstesten Fantasien der Elfen um: Vergewaltigung, Folter, Verstümmelung und Mord standen auf der Tagesordnung, jeden Tag, und oft im ganz großen Maßstab. Die Elfen ergötzten sich daran, epische Dramen und aufwändige Rekonstruktionen berühmter historischer Gräueltaten zu inszenieren. Die Einzelheiten waren selten präzise getroffen, aber den Elfen kam es nur darauf an, dass Menschen litten und starben. Macht war zu gewinnen, indem man die durch Schmerzen und Gefühle und Tod freigesetzten Energien absaugte. Die Elfen wurden fett und machtvoll, aufgebläht wie Blutegel. Man kannte einen sehr alten Namen für die Art von Kreaturen, die sie waren.

Die Arena wurde zu einem Schlachthaus, denn die Leichen wurden niemals abtransportiert und häuften sich einfach an den Seiten. Der Sand war jetzt immer blutrot und der Gestank unbeschreiblich. Die körperlich weit entfernten Elfen scherten sich nicht darum. Sie hatten ihren Spaß. Zuzeiten spielten sie auch mit den Leichen, einfach der Gram wegen, die sie damit den Hinterbliebenen bereiteten. Sie lehnten es ab, sich von menschlichen Moralvorstellungen und Tabus einschränken zu lassen. Sie betrachteten sich als übermenschlich und versagten sich nichts.

Sie bestanden darauf, dass alles im Fernsehen übertragen wurde und das auf allen Kanälen zugleich. Welchen Sinn hätte es denn gehabt, sich schlimm aufzuführen, wenn niemand zusah, der schockiert und entrüstet reagierte? Finn gestattete den Elfen nicht, sich offen als Urheber zu präsentieren, aber die Hinweise waren da. Und Menschen sahen tatsächlich zu; regelmäßig erschien Publikum zu den Aufführungen. Manche kamen, weil ein heimlicher Winkel in ihnen auf die Gräueltaten ansprach. Andere wurden von entsetzter Faszination bewegt. Und wieder andere fanden es einfach besser, wenn sie informiert waren. Selbst wenn die Nachrichten immer schlecht waren, wollten die Menschen sie einfach hören. Und auf ganz Logres und all den zuschauenden Welten brannten Wut und Rachedurst kalt in den Herzen der Menschen, und sie bereiteten sich auf den Aufstand vor und hielten hoffnungsvoll Ausschau nach Anzeichen davon.

Joseph Wallace sah sich die Übertragungen nie an, achtete aber sorgsam darauf, immer die aktuellen Meldungen zu lesen. Je mächtiger die Elfen wurden und je näher sie Finn standen, desto mehr nahmen Josephs Macht und Einfluss ab. Die Besessenen auf den Straßen trugen vielleicht seine Uniformen, aber sie unterstanden ihm nicht. Joseph wurde an den Rand gedrängt, seine Machtbasis von den Elfen untergraben, ja regelrecht sabotiert, denn sie wollten Finns Aufmerksamkeit ganz für sich. Finn zitierte Joseph weiterhin zu ihren kleinen verstörenden Plauderstündchen herbei, aber jeder Einfluss, den Joseph jemals auf den Imperator ausgeübt haben mochte, schien dahin. Insgeheim und absolut unter Verstoß gegen die Befehle Finns spionierten Josephs Leute die Elfen aus, denn der Minister hatte diesen unmenschlichen Kreaturen nie über den Weg getraut. Er war schließlich überzeugter Anhänger der Reinen Menschheit. Er sammelte an Informationen, was er kriegen konnte, und präsentierte sie dem Imperator zum Beweis dafür, dass die Elfen eigene Absichten verfolgten, aber im Gegenzug erhielt er nur einen kalten, gleichgültigen Blick.

Es ist mir gleich, erklärte Finn rundweg. Solange sie ihren Job erledigen, ist mir egal, wie sie es tun. Und Joseph: Falls Ihr Euren Job nicht erledigen könnt, dann ersetze ich Euch durch jemanden, der es kann!

Von je mehr Menschen die Elfen Besitz ergriffen, je größer die Armeen der Gedankensklaven wurden, desto mächtiger wurden die Anführer der Elfen und die Überesper.

Der Vorrat an Besessenen bildete eine Energiequelle: je mehr Menschen übernommen, desto stärker diese Quelle, Die Esperfähigkeiten waren noch nie so stark gewesen und hatten noch nie so weit gereicht. Immer mehr Besessene erlangten die Fähigkeit, stellvertretend die Fähigkeiten der sie steuernden Gehirne zu manifestieren, aber sie brannten dabei stets aus. Je stärker die lenkenden Gehirne wurden, desto nachdrücklicher prägten sich die Unterschiede zwischen den Anführern der Elfen und den Überespern aus Keine Seite traute der anderen über den Weg, und jede wahrte ihre streng geschützten Reviere. Zuzeiten kam es zu Grenzscharmützeln, in denen Besessene gegen Besessene kämpften, und füllten die Straßen der Angst mit noch mehr Blut und Leichen.

Finn sah sich alles aus der Ferne an und überließ es den Kontrahenten, die Sache auszutragen; sorgsam achtete er darauf, weder die eine noch die andere Seite zu unterstützen. Teile und herrsche: dieses Prinzip erschien ihm nach wie vor als der sicherste Weg. Während sie sich gegenseitig bekämpften, stritten sie nicht gegen ihn. Außerdem genoss er das Spektakel. Er ließ ihnen die Zügel frei, bestand lediglich darauf, dass in seiner Hauptstadt keine Psischlachten ausgetragen wurden, da solche doch zwangsläufig mit übersinnlicher Begleitstrahlung verbunden waren. Zwar konnte er dieses Ansinnen im Grunde nicht durchsetzen, aber bislang waren beide Seiten zu sehr in ihre Auseinandersetzung vertieft, um das zu bemerken. Finn setzte auf ihre gegenseitige Schwächung, damit der Sieger letztlich zu schwach aus diesem Kampf hervorging, um ihn noch bedrohen zu können.

Und dann würde er etwas gegen ihn unternehmen. Aber es waren Faktoren im Spiel, von denen sogar Finn nichts wusste. Die Überesper zeigten sich entschlossen zu siegen, was immer es sie kostete. Sie mussten einfach den Sieg davontragen und mächtiger werden als je zuvor, denn als Einzige auf Logres wussten sie mit Bestimmtheit, dass Owen Todtsteltzer von den Toten auferstanden war; und sie alle fürchteten ihn. Ein kurzer Kontakt mit seinem neu belebten Bewusstsein hatte ihnen schon gezeigt, dass Owen mächtiger war als je zuvor. Mächtiger als die Überseele, mächtiger als sie alle und möglicherweise sogar mächtiger als ihrer aller ursprüngliche Schöpferin, die Mater Mundi. So konzentrierten sich die Überesper darauf, immer mehr Gedankensklaven in Besitz zu nehmen, gingen bis an die eigenen Grenzen und darüber hinaus, um sicherzustellen, dass sie mehr Macht anhäuften als die offiziellen Anführer der Elfen.
Sie mussten bereit sein für den Zeitpunkt, an dem Owen Todtsteltzer sich ihnen entgegenstellte.
Schließlich brach der unvermeidliche Krieg aus. Die Spinnenharfen, das Trümmermonster, Höllenfeuer Blau, Kreischende Stille und der Graue Zug richteten ihre gesamte aufgestaute Energie gegen die Anführer der Elfen. Der direkte mentale Zusammenstoß explodierte über Parade der Endlosen, und alle in der Stadt schrien auf, als die Begleitstrahlung die Umgebung verwüstete. Als Esperhirne auf der Psiebene um die Vorherrschaft stritten, schlugen Angriffe und Gegenangriffe in die materielle Welt durch. Wahrscheinlichkeitsstürme tobten in den Straßen und manifestierten sich in Wundern und unwahrscheinlichen Tragödien. Es kam zu Ausbrüchen von Massenwahn, und dessen Wellen breiteten sich in der Realität selbst aus. Häuser explodierten, Menschen ebenfalls. Der Zufall lief Amok, und skandalöse Möglichkeiten fanden Ausdruck im Fleisch der Menschen. Straßen verschlangen sich ineinander und boten keinen Ausweg mehr. Die Schwerkraft sprang hin und her, und Flüsse strömten über den Himmel Türme verwandelten sich in Bäume, in denen die Menschen schreiend festsaßen. Wasser verwandelte sich in Feuer, und die Luft wurde giftig. Steinhagel und Blutströme regneten vom Himmel, und Menschen verschwanden und wurden durch andere Versionen ihrer selbst ersetzt.
Und zwei gewaltige Armeen von Gedankensklaven kämpften mit Wildheit aus zweiter Hand gegeneinander, mit Pistolen und Schwertern und allem Möglichen, was ihnen in die Finger geriet, während sich die Toten auf den Straßen häuften.
Nur im Slum blieben Menschen und ihr Hab und Gut bei Verstand und in Sicherheit, geschützt durch die geballte Macht Diana Vertues und ihrer Anhängerinnen, der Wahnschlampen. Ihre Hirne erbebten unter dem Aufprall von so viel mentaler Kraft, aber sie hielten stand, und innerhalb der Grenzen des Slums blieben die Leute unversehrt und verfolgten voller Grauen das, was draußen geschah, ohne eingreifen zu können.
Alles endete so plötzlich, wie es begonnen hatte, und die Realität wurde wieder solide und zuverlässig. Die halbe Stadt stand in Flammen oder lag in Schutt und Asche, und die Zahl der Toten ging in die Hunderttausende, aber die Überesper hatten gesiegt, hatten die schwächeren Gehirne der Elfenanführer zermalmt und unterworfen, denn Letztere erwiesen sich zum Schluss als doch nur menschlich und demzufolge begrenzt in dem, was sie sich an Bösem auszudenken vermochten. Die Überesper zerschmetterten, beherrschten und absorbierten alle übrigen in der Esper-Liberationsfront, bis schließlich nur noch die fünf Gehirne der Überesper übrig waren, die nun Millionen von Körpern lenkten. Wir sind jetzt die Elfen, verkündeten sie, und es stimmte. Fünf Geister blickten aus den Augen von Millionen Körpern und absorbierten ständig noch weitere. Eines Tages werden wir die ganze Welt sein, erklärten die Überesper, und die gesamte Menschheit wird uns gehören. Unsere Gedanken und unser Wille werden jeden menschlichen Körper steuern. Und dann wenden wir uns gegeneinander und führen auf sämtlichen Planeten Krieg um die endgültige Vorherrschaft, bis nur noch einer von uns existiert. Wird das nicht lustig"? Wenn die gesamte Menschheit für unseren triumphierenden Geist leidet?
Die Überesper lachten, und das Gelächter dauerte stundenlang.

Douglas Feldglöck, Oberhaupt des Slums und gefeierter König der Diebe, wohnte immer noch im Hotel Laternenhaus. Als Absteige gewann es auch nicht dadurch an Wert, dass es sein Hauptquartier war, aber es lag zentral und war vertraut, und er hatte jetzt wenigstens ein Zimmer für sich. Der Rang brachte Privilegien mit sich. Nina Malapert und Stuart Lennox hatten jetzt jeder selbst ein eigenes Zimmer auf dem gleichen Flur. Zwar hätten sie alle in eine etwas vornehmere Bleibe umziehen können, wo es zuverlässig Warmwasser gab und die Toilette mehr war als ein Loch im Boden, aber die Leute sahen es gern, dass Douglas wie einer von ihnen lebte und unter der gleichen Mühsal litt.

(Douglas bestand allerdings darauf, dass das ganze Haus ausgeräuchert wurde. Er hatte schließlich seine Ansprüche.)

Er stand fortlaufend unter dem Schutz seiner Leibwache, die aus den Reihen der Wahnschlampen stammte. Jeweils zwei der überwältigend cleveren und fröhlichen jungen Damen lösten sich dabei ab, vor seiner Tür Wache zu stehen und ihn überallhin zu begleiten, und Gott mochte dem armen Trottel beistehen, der versuchte, an ihnen vorbeizukommen, welchen Grund auch immer er dazu hatte. Der örtliche Klatsch vermeldete, sie hätten einen Mann in einen Frosch verwandelt. Und ihn dann verspeist.

Unter Douglas' Führung wuchs die Rebellion langsam und gleichmäßig und verzweigte sich. Jeden Tag verließen Gruppen seiner Leute in geheimen Aufträgen den Slum, Aufträgen, die vom Informationssammeln bis hin zu diskreter kleiner Sabotage reichten. Finns Leute hatten Douglas zuerst als König der Diebe bezeichnet, ein Spottname, der zeigen sollte, wie tiefer gesunken war, aber Douglas machte sich den Titel zu Eigen, und im Slum liebte man ihn einfach.

Für Douglas war es eine angenehme Überraschung gewesen, als er feststellte, dass diese Diebe, Betrüger, Gauner und Schurken im Kampf viel tüchtiger waren als Finns militärisch ausgebildete Fanatiker. Es schien, als verfügten sie über einen Funken, irgendeine zusätzliche vitale Eigenschaft, die man aus den zivilisierteren Bewohnern der Stadt längst herausgezüchtet hatte. Auf jeden Fall beherrschte man im Slum Methoden, um sich technische Hilfsmittel zuzulegen, Informationen und auch sonst alles, was man womöglich brauchte, und das waren Methoden, die einem gesetzestreuen Menschen nie in den Sinn gekommen wären. Der König der Diebe wusste die wilden Talente des Slums zu würdigen und wertzuschätzen. Hier fand man die einzigen Menschen, deren Geist der Imperator nicht hatte brechen können. Sie wurden sogar umso entschlossener, je mehr Finn sie zu brechen versuchte. Jahre des Lebens als verachtete Ausgestoßene hatten ihre Seelen eisenhart gemacht und ein Feuer in ihrem Leib angefacht. Douglas dachte manchmal darüber nach, welche Schlüsse man daraus ziehen konnte und was es über den Rest des Imperiums aussagte. Nicht zuletzt, weil der Slum auch ihn allmählich veränderte. Er wurde wilder und flexibler im Denken. Und es gefiel ihm.

Zunächst vorsichtig, dann jedoch immer offener inszenierte er Angriffe auf Finns Schwachpunkte, und die zerlumpten Krieger des Slums zogen los und umgingen begeistert Finns Sicherheitsmaßnahmen. Sie kamen und gingen und richteten Schaden an, und niemand bemerkte sie, bis sie schon wieder verschwunden waren und die Explosionen losgingen. Sie sammelten Informationen, mit deren Hilfe Douglas noch mehr Schwachpunkte entdeckte und erfuhr, wie er sie auf erfindungsreiche und erschreckende Art sabotieren konnte. Finn schickte seine Sicherheitsleute, die wild hin- und herrannten, aber irgendwie waren sie nie dort, wo sie gebraucht wurden, und schienen dazu verdammt, immer erst dann zu erscheinen, wenn es galt, die Scherben aufzulesen. Sie wurden zur Lachnummer, und sie wussten es.

Das vom Slum bedeckte Territorium vergrößerte sich täglich. Der Slum war inzwischen die einzige sichere Zuflucht auf Logres, und Leute von überall auf dem Planeten kamen hierher und trotzten dabei allen Gefahren, um die sich ausweitenden Grenzen des Slums zu überschreiten und dort endlich sicher zu sein vor Finn, seinen Leuten und den Gedankensklaven. Der Slum musste größer werden, um alle unterzubringen. Und so schluckte er angrenzende Straßen, dann ganze Blocks der Umgebung, bis er schließlich den vierten Teil von Parade der Endlosen umfasste. Finn verhängte die Todesstrafe für jeden, der sich dem Slum auch nur näherte. Aber auch das konnte den Flüchtlingsstrom nicht bremsen. In der Welt, die Finn gestaltet hatte, war der Tod nichts mehr, was die Menschen fürchteten. Für viele war er das kleinere Übel.

Douglas' Einfluss wuchs auch in anderer Hinsicht. Die Fremdwesen des Slums infiltrierten langsam, aber unaufhaltsam die Unterwelt der Stadt, rutschten und glitten durch Versorgungsleitungen und Wartungstunnel, durch Abwasserkanäle und Fabrikabflüsse. Sie gediehen unter Bedingungen, die für Menschen tödlich gewesen wären, und setzten ihre Pläne an Stellen um, die bei den darüber lebenden Menschen als unbewohnbar galten. Die Fremdwesen atmeten Giftgase und schwammen durch tödliche Chemiecocktails, und Kilometer für Kilometer übernahmen sie die Aufgaben der Shub-Roboter: all die widerliche, aber unverzichtbare Arbeit, die für den essenziellen Bedarf der Stadt aufkam. Sie stellten Strom- und Wasserversorgung und Abwasserentsorgung und all die übrigen Annehmlichkeiten wieder her, die früher in Parade der Endlosen auch als selbstverständlich gegolten hatten. Und indem sie diese Dienstleistungen in manchen Gebieten abschalteten und dafür dem Slum zugänglich machten, gestalteten sie den Slum rapide zur attraktivsten Wohngegend der Stadt.

Die Fremdwesen gaben auch perfekte Spione ab; sie lauschten an unmöglichen Stellen, und ihre fremdartigen Sinne fingen oft Informationen auf, die selbst den besten Techs entgangen wären. Finn wäre sehr überrascht gewesen, hätte er gewusst, wie viele Fremdwesen jede Nacht durch die Engstellen und dunklen Winkel seines Palastes glitten.

Auch Nina Malapert stand im Begriff, sich einen Namen zu machen. Als führende Sprecherin der populärsten und meistgesehenen UntergrundNachrichtensite hatte sie sich zum Gesicht der Freiheit und zur Stimme der Rebellion entwickelt. Jeden Tag meldete sie den Menschen Dinge, von denen sie nichts wussten, und versprach Hoffnung für die Zukunft. Ihr rosa Irokesenschnitt wuchs höher denn je, und sie trug niemals zweimal das gleiche Make-up. Alle Welt verfolgte ihre Sendungen, obwohl jedermann an Ort und Stelle exekutiert werden konnte, wenn man ihn dabei erwischte. (Schließlich konnte man heutzutage ohne Prozess für so ziemlich alles exekutiert werden.) Die Menschen mussten erfahren, was geschah, und Finns offizielle Nachrichtenprogramme hatten sich zu immer hohleren Propagandamaschinen entwickelt. Die Leute, die sich das durchlasen, machten sich nicht mal mehr die Mühe, darüber zu grinsen.

Nina gab ihrem Publikum harte Fakten, abgesichert durch Live-Berichterstattung vor Ort, und was sie an Propaganda brachte, das wollten die Leute wenigstens hören. Niemals hielt sie ihre Zuschauer zum Aufstand gegen Finn an; alle Welt wusste, dass der Zeitpunkt dafür noch nicht gekommen war. Allerdings sagte sie, jeder, der es sich zutraute, möge in den Slum kommen und sich der wachsenden Rebellenarmee anschließen - und verdammt viele Menschen taten es. Teile von Parade der Endlosen waren inzwischen fast völlig verlassen. Die Menschen suchten schließlich Sicherheit, denn sie sehnten sich danach, ohne Angst zu leben.

Die Stadt außerhalb des Slums zerfiel. Stromausfälle, Lebensmittelknappheit, Mangel an wesentlichen Dienstleistungen. Irre in den Uniformen von Friedenshütern auf den Straßen. Geschäfte machten dicht, die Industrieproduktion kam zum Erliegen. Alle wussten, dass es so nicht weitergehen konnte. Sogar Finn.

Douglas rief zu einer Notkonferenz in sein Zimmer im Laternenhaus, und jeder von Bedeutung erschien. Der König der Diebe lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verfolgte, wie die Leute eintrafen. Tel Markham trieb sich wie immer neben Douglas' Sessel herum; der stille Stratege, der im Grunde der radikalste Extremist unter ihnen allen war. Er hatte sich hübsch herausgeputzt, aber sein Blick behielt den wilden Ausdruck. Er war immer der Erste, der nach Mordanschlägen und Aufruhr in der Stadt draußen rief. Er war Douglas' persönlicher Wachhund und beschützte seinen Meister mit Inbrunst, und zuzeiten knurrte er sogar die Wahnschlampen an, die die offizielle Leibwache des Königs stellten. Tel hatte viele Wunden davongetragen, und man sah das Narbengewebe.

Auch Diana Vertue war da, immer noch zuzeiten Johana Wahn genannt, obwohl heutzutage nie mehr offen ins Gesicht; sie hing lässig im einzigen weiteren Sessel, eine kleine gedrungene Blondine, die nicht annähernd so gefährlich wirkte, wie sie, was alle wussten, tatsächlich war. Diana und ihre Wahnschlampen waren die Einzigen, die noch unangefochten offen durch die äußere Stadt spazieren konnten und alle Welt herausforderten, sie möge doch etwas dagegen unternehmen. Sie fürchteten sich weder vor Armeen noch vor Elfen, und ihre Aufsässigkeit munterte manch niedergeschlagenes Herz auf. Insgeheim waren die Überesper überzeugt davon, dass sie Diana Vertue umbringen konnten, wie sie es vor über hundert Jahren schon mal getan hatten. Doch sie hatten noch immer nicht herausbekommen, wie Diana die Rückkehr von den Toten zuwege gebracht hatte. Finn war ebenfalls recht sicher, dass er Diana mit genug Waffen, Soldaten und Militärtech zur Strecke bringen konnte, aber er konnte sich nicht leisten, so viele Männer zu verlieren, wie zu erwarten stand, wenn ein Unternehmen keine von vornherein sichere Sache war. Also hielt auch er sich zurück. Und Diana brüskierte sie unerschütterlich.

Den Hirten für die Wahnschlampen abzugeben, das hatte Diana Vertue gezeigt, wie wichtig Geduld und Selbstbeherrschung waren, obwohl sie beides nicht von zu Hause aus mitbrachte. Sie hegte den fürchterlichen Verdacht, dass sie letztlich erwachsen wurde.

Nina Malapert und Stuart Lennox standen zusammen auf der anderen Seite des Zimmers. Wie üblich hatte sich Nina nicht für einen einheitlichen Bekleidungsstil entscheiden können und trug deshalb alle gleichzeitig. Sie schwatzte fröhlich mit Stuart, der nur lächelte und nickte und sie gewähren ließ. Selbst alten Freunden fiel es schwer, Nina zu unterbrechen, wenn sie richtig in Schwung war.

Douglas hatte zu der Besprechung eingeladen, also ergriff er zuerst das Wort: »Diese Zusammenkunft des Zeigen-wir-es-Finn-Komitees wird hiermit zur Ordnung gerufen und aufgefordert, verdammt noch mal die Klappe zu halten und zuzuhören, und ja, ich blicke dich dabei an, Nina. Und zeig mir nicht die Schnute, oder ich bekomme miese Laune. Die gute Nachricht lautet, dass unsere militärischen Einsätze alle sehr gut laufen. Auf Grundlage meiner alten Kenntnisse als Paragon habe ich verwundbare Ziele in den Gebieten Finanzen und Sicherheit identifiziert, und meine Angriffsteams konnten ernsten Schaden anrichten und dabei von Finn unbemerkt bleiben. Er hat keinen Schimmer, was vorgeht oder wie wir unsere Erfolge erzielen, außer dass er jeden Morgen beim Aufstehen einen Haufen qualmenden Schutt sieht, wo zuvor ein wichtiges Gebäude stand. Seine Sicherheitsbeamten ziehen inzwischen Strohhalme, um zu bestimmen, wer von ihnen zu ihm geht und erklärt, dass sie nach wie vor keine Ahnung haben. Bald geben sie noch den Kobolden die Schuld.«

»Wir sollten uns lieber auf Menschen als auf Gebäude konzentrieren!«, knurrte Tel. »Und zwar die Personen ausschalten, auf die es ankommt, sodass Finns ganzer Regierungsapparat auseinander fällt.«

»Wir haben das schon besprochen, Tel«, erklärte Douglas streng. »Mordanschläge sind Finns Stil, nicht unserer. Und er verfügt immer noch über fanatische Anhänger in schier beliebiger Anzahl, die jederzeit in die Bresche springen, wenn eine Position frei wird. Diese verrückten Bastarde verehren ihn wie einen Gott! Nein, wir halten uns an die langsame und subtile Methode. Vorläufig zumindest. Wo war ich? Oh ja! Auch unsere Lektronenhacker haben in jüngster Zeit bemerkenswerte Erfolge erzielt. Sie haben der Militanten Kirche und der Reinen Menschheit gewaltige Summe gestohlen und sie unserem eigenen Haushalt zugeführt. Was uns noch mehr Möglichkeiten neben den militärischen eröffnet. Oft dringt man mit einer Bestechung an Stellen vor, die einem Schwert unzugänglich blieben.«

»Außer dass wir den größten Teil dieser Gelder für Lebensmittellieferungen an Teile der äußeren Stadt verwendet haben«, wandte Tel ein. »Wir sollten sie lieber hungern lassen. Dann sind sie eher bereit, sich gegen Finn zu erheben.«

»Halbverhungerte sind nur selten gute Kämpfer«, entgegnete Douglas. »Und ich sehe nicht tatenlos zu, wie mein Volk hungert! Ich bin immer noch ihr König, wenn auch im Exil. In Ordnung, Tel; wie ich weiß, berstet Ihr schier vor Verlangen, uns von den Taten Eurer Leute zu berichten! Aber fasst Euch kurz und drückt Euch präzise aus, oder wir stören Euch mit Zwischenrufen.«

»Und werfen mit Gegenständen«, ergänzte Stuart. Tel funkelte ihn an. »Meine Leute haben große Erfolge dabei erzielt, Finns Kommunikationsleitungen anzuzapfen und zu blockieren, wobei sie auf Fremdwesentech und slumgeschulte Fähigkeiten zurückgegriffen haben. Deshalb gelangen die meisten Befehle Finns nicht mehr an ihr Ziel. Manchmal nehmen wir eigene, unterschwellige Änderungen daran vor und leiten sie weiter, um zum allgemeinen Chaos

beizutragen. Schon bald wird Finn keiner Meldung mehr trauen können, die über die Funkleitungen eingeht, und seine Leute werden sich davor fürchten, irgendeinen Befehl auszuführen, den er ihnen nicht persönlich erteilt hat.«

»Leider hat er immer noch die Elfen«, sagte Diana. »Nicht einmal durch geballte Aufbietung unserer Kräfte könnten die Schlampen und ich ihre telepathischen Befehle blockieren. Die Elfen beherrschen inzwischen eine atemberaubende Anzahl von Besessenen, und dadurch sind die Anführer der Elfen so mächtig geworden. Wir können nicht einmal das, was sie denken oder planen, telepathisch belauschen. Falls Finn sie als Ersatz für die infiltrierten Funkverbindungen einsetzt...«

Douglas schnitt ein finsteres Gesicht. »Tauchen irgendwelche dieser neuen Gedankensklaven auch im Slum auf? Vielleicht unter den Flüchtlingen?«

»Nein«, erklärte Diana entschieden. »Wir sind nach wie vor frei von ihnen. Die Mädchen und ich halten eine mentale Sondierung aufrecht, die automatisch läuft. Jeder Besessene, der einzudringen versuchte, würde einen mentalen Alarm auslösen, und wir würden sofort hinstürmen. Finns Spione und Agenten sind natürlich ein anderes Thema ...«

»Stuart«, sagte Douglas. »Du wolltest etwas über

Finns Sicherheitsleute sagen.«
»Verdammt richtig!«, bekräftigte Stuart. »Ja, wir
machen sie schwindelig, aber das gelingt uns vor allem deshalb, weil diese Leute nicht für die Sicherheitstätigkeit ausgebildet wurden. Es sind Finns Fanatiker, die sich nie groß den Kopf über militärische
Taktik zerbrochen haben. In jüngster Zeit stoßen wir
allerdings auf eine härtere Sorte. Gedankensklaven
mit begrenzten Esperfähigkeiten. Sie spüren, was
vorgeht, auch wenn sie es nicht beweisen können.
Man kann nicht an einem Telepathen vorbeischleichen. Douglas, um so viele Besessene einzusetzen
und ihnen auch den Schutz wichtiger Einrichtungen
zu übertragen, muss Finn eine neue Absprache mit
den Elfen getroffen haben!«
»Ich habe Euch ja berichtet, dass sie die Arena betreiben«, sagte Diana. »Alle Anzeichen sprechen dafür. Und nach dieser mentalen Explosion, wie sie vor
kurzem über der Stadt eingetreten ist, denke ich, können wir davon ausgehen, dass die Überesper die
Elfen nun direkt steuern.«
»Das würde das Verhalten der Friedenshüter erklä
ren«, sagte Stuart.
»Es sind Tiere!«, rief Nina. »Ehrlich, sind sie! Die
Menschen da draußen haben inzwischen vor jedem
Angst, der eine Uniform trägt.«
»Was nicht unbedingt schlecht ist«, wandte Tel
ein. »Je schlimmer die Lage draußen wird, desto
mehr Menschen suchen den Slum auf. Die Probleme
der Stadt machen uns stark. Wir werden bald wieder
expandieren müssen, Douglas. Wir benötigen mehr
Territorium.«
»Ich sage immer noch, wir sollten die Arena erobern, Darlings«, warf Nina ein. »Oder sie zumindest
sprengen und die armen Bastarde dort von ihrem
Elend erlösen.«
»Es müssen Elfen sein«, sagte Stuart. »Normale
Menschen würden so was nie tun. Jedem, mit dem
ich rede, wird schlecht bei dem, was heute im Namen
der Unterhaltung in der Arena geschieht. Sogar die
Slumbewohner der alten Schule, die hartgesottensten
Verbrecher, sind schockiert und aufgebracht. Es
scheint, dass es eine Grenze gibt, die nicht mal sie
überschreiten möchten, und niemand ist darüber
mehr verblüfft als sie selbst. Douglas, du brauchst es
nur zu sagen, und wir pusten die Arena glatt von der
Karte!«
»Nein«, sagte Tel sofort. »Wir sind noch nicht bereit für einen Einsatz solchen Ausmaßes. Zunächst müssten wir, falls wirklich die Elfen dort die Zügel in der Hand haben, Diana mit sämtlichen Schlampen für diesen Einsatz aufbieten, ergänzt um verdammt große bewaffnete Kräfte, und nicht mal dann gäbe es eine Erfolgsgarantie. Wir könnten sie alle durch die Überesper verlieren, und der Slum wäre vor Psiangriffen ungeschützt. Zweitens könnte uns Finn, selbst wenn wir Erfolg hätten, einen solch offenen Sieg nicht unangefochten zugestehen. Er müsste zurückschlagen. Das wisst Ihr! Außerdem hat er die Materiewandler. Er würde diesen Planeten eher vernichten als hergeben. Ich habe für ihn gearbeitet und weiß,
wie er denkt.«
»Können wir nicht die Funkverbindungen zu den
Materiewandlern kappen?«, fragte Diana.
»Wir versuchen das ständig«, antwortete Nina.
»Aber diese Leitungen gehen ausschließlich vom
imperialen Palast aus, wo Finn sie persönlich kontrolliert.«
»Immerhin führen Wege in den Palast, von denen Finn nichts ahnt«, sagte Douglas, und alle
blickten ihn an. Er lächelte leise. »Der Palast war
mein Zuhause, erinnert Ihr Euch? Die königliche
Familie hat immer ein paar Geheimnisse für sich
behalten. Aber diese Kenntnisse müssen wir für
echte Notfälle aufsparen. Wir können sie nicht für
irgendetwas weniger Wichtiges wegwerfen als den
abschließenden Sturm auf den Palast. Okay, ich
denke, wir haben alle Themen behandelt, also
könnt Ihr alle verdammt schnell aus meinem Zimmer verschwinden und mir wieder Raum zum Atmen lassen.«
Die Versammlung löste sich auf, und alle gingen
ihrer eigenen Wege: Nina zum Studio ihrer Nachrichtensite, um sich dort um die aktuellen Informationen zu kümmern; Diana auf Patrouille mit den
Schlampen; Tel, um mit der Gruppe seiner persönlichen Spione und Informanten zu intrigieren. Und
Stuart Lennox kehrte in sein Zimmer am selben Flur
zurück. Er war jetzt schon den ganzen Tag auf den
Beinen, um alte und neue Slumbewohner als Soldaten auszubilden, und brauchte dringend etwas Zeit
für sich.
Trotzdem fühlte er sich im Einsatz immer wohler
als bei Planungskonferenzen. Wie jedermann auf
seinem Heimatplaneten Virimonde war er zum Krieger erzogen worden und dachte somit am liebsten in
schlichten Bildern. Er schloss sich den Ausfällen in
die äußere Stadt an, wann immer er konnte, war stets
auf eine Chance erpicht, Finns Leute umzubringen.
Das war nicht so zufriedenstellend, als würde er Finn
selbst umbringen, aber es musste vorerst reichen. Seine Stimmung stieg, als er die Tür öffnete und
das kleine, aber behagliche Zimmer betrat, das er mit
seinem neuen Freund teilte. Jas Sri war schon da,
eilte geschäftig hin und her und räumte auf, während
er darauf wartete, dass das Abendessen fertig wurde.
Jas hielt große Stücke aufs Aufräumen, und sogar der
Staub musste sich in geraden Linien niederlassen,
solange Jas in der Nähe war. Er arbeitete mit Nina zusammen an der Nachrichtensite, denn er war ein Medientech und hatte sich darauf spezialisiert, gespendete Fremdwesentech anzupassen und die Website mit deren Hilfe gegen Angriffe von außen abzusichern. Stuart und Jas waren zusammen, seit Nina sie miteinander bekannt gemacht hatte. (Nina hatte Stuart sehr viele sympathische junge Männer vorgestellt und war insgeheim sehr erleichtert und glücklich, als Stuart endlich einen davon ins Herz schloss.) Jas tat Stuart gut, nicht zuletzt deshalb, weil er keinerlei übertriebenes Nachdenken oder Brüten über die Vergangenheit duldete. Jas Sri lebte sehr gründlich in der Gegenwart. Er war groß, dünn, dunkelhäutig und sehr leidenschaftlich. Außerdem neigte er zu dramatischen Auftritten, wann immer er ein Publi
kum dafür hatte.
»Wird aber auch Zeit, dass du nach Hause
kommst, Schatz«, sagte Jas, ohne sich umzudrehen.
»Das Abendessen steht in fünf Minuten auf dem
Tisch, und ja, es gibt Pudding. Vielleicht sogar Vanillepudding, wenn du Glück hast. Vergiss diesmal
möglichst nicht, die Serviette zu benutzen. Und trink
nicht aus der Fingerschale! Ich weiß, dass du es nur
machst, um mich zu ärgern.«
»Stimmt«, räumte Stuart ein und plumpste in den
Sessel. »Du bist wirklich ein zivilisierter Zug an diesem barbarischen Ort, Jas.«
»Als ob ich das nicht wüsste! Entspann dich,
Schatz, und ich hole dir die Pantoffeln.«
Stuart konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Jas bemutterte ihn gnadenlos, wie er es überhaupt mit allen Leuten probierte. Er behauptete, es wäre genetisch in ihm verankert. Oder vielleicht auch ein Zigeunerfluch. Jas gab Stuart einen kurzen Kuss auf die Stirn, tätschelte ihm die Schulter und lief zurück zum Herd in der Ecke. Jas war von Natur aus gefühlsduselig, hatte aber gelernt, sich damit in Stuarts Gesellschaft etwas zurückzuhalten. Er wollte den emotionell verwundeten Mann nicht auch noch unter Druck setzen. Stuart sprach nicht viel von Finn oder seinen Erlebnissen in dessen Gesellschaft, aber zuzeiten entglitt ihm ein vielsagender Hinweis auf das Grauen, das er durchgemacht hatte. Bei manchem davon gefror Jas das Blut in den Adern. Immer dann biss er sich heftig auf die Unterlippe und bemühte sich noch besonders darum, hilfreich zu sein, ohne Stuart damit zu ersticken. Und wenn sie gemeinsam in dem schmalen Einzelbett lagen, schrie Stuart manchmal kläglich im Schlaf auf und Jas musste ihn
halten und trösten, bis es wieder hell wurde. Alles in allem schien es Stuart besser zu gehen. Die
vielen erfolgreichen Vorstöße in Finns Territorium hatten viel dazu beigetragen, seine Selbstachtung wiederherzustellen, und er zeigte sich erneut als der gerissene
Kämpfer, der er schon als Paragon gewesen war. Mit
seinen handverlesenen Mitstreitern hatte er ernstliche
Schäden an militärischen Zielen angerichtet, aber es
reichte nicht. Es würde nie reichen, bis Finn endlich tot
war und Stuart nicht mehr heimsuchen konnte. Jas sagte nie etwas dazu, machte sich aber stets Sorgen, während Stuart im Einsatz war, denn er wusste, dass Stuart in jedem Kampf nach einem Frieden suchte, der nur im Tod zu finden war. Jas konnte dagegen nicht mehr tun, als dem Freund einen Grund zum Leben anzubieten, einen Grund, wieder nach
Hause zurückzukehren.
»Das Abendessen ist fertig!«, verkündete er munter. »Wieder mal eine tolle und erfindungsreiche Methode, um das gleiche öde und langweilige Gemüse
aufzutischen, Gott, manchmal würde ich für ein gutes Würstchen einen Mord begehen!«

Douglas machte einen Spaziergang um den Block, einfach um sich ein wenig die Beine zu vertreten und ein bisschen frische Luft zu schnappen. Manchmal empfand er sein Zimmer auf ungemütliche Art als eine Zelle. Wie immer begleiteten ihn zwei Wahnschlampen zu seinem Schutz. Sie wahrten diskreten Abstand und schreckten sämtliche Passanten mit harten Blicken und dem einen oder anderen gedanklichen Schubser davon ab, Douglas zu nahe zu kommen. Immer bestand die Möglichkeit, dass in der Menge, die Douglas zujubelte und anlächelte, wo immer er auftauchte, ein verkleideter Spion oder Meuchelmörder lauerte. Douglas war überzeugt davon, dass er sich selbst verteidigen konnte, aber sich mit der Leibwache abzufinden, das war der Preis dafür, seine Freunde nicht jedes Mal ausflippen zu sehen, wenn ihm danach war, auf eigene Faust loszuziehen.

Heute Abend begleiteten ihn Alessandra Duquesne, die als Anführerin der Schlampen galt, und ihre Freundin Joanna Maltravers - beides große, muntere blonde Teenager, die so aussahen und sich so anhörten, als müssten sie eigentlich noch die Abschlussklasse irgendeiner Schule besuchen. Beide trugen leuchtend bunte Seidenkleider, die kunstvoll geschnitten und arrangiert waren, damit sie so viel nackte Bronzehaut zeigten wie möglich. Beide trugen schwarze Rosen in den Haaren und Stammestätowierungen in den Gesichtern. Insgesamt gab es zwölf Wahnschlampen, junge Esper, die zu sehr Individualisten waren und zu eigensinnig, um sich ins Massenbewusstsein der Überseele zu fügen, und die geschworen hatten, ihrer geliebten Johana Wahn bis in den Tod und darüber hinaus zu folgen. Wenn sie nicht gerade unterwegs waren, um Sachen hochzujagen oder Finns Leute mit bestürzender Verve und ebenso bestürzendem Enthuasismus umzubringen, hingen sie zumeist in der Eingangshalle des Laternenhauses herum, lasen Klatschzeitschriften, tauschten MakeupTipps aus und diskutierten über neue und scheußlichere Methoden, um böse Buben niederzumetzeln. Sind wir nicht furchtbar? fragte unausweichlich irgendwann eine von ihnen, und alles löste sich in mädchenhaftem Kichern auf. Die Leute im Slum fanden sie ebenso faszinierend wie erschreckend.

Douglas kam sich ein bisschen pervers vor, während ihm diese tödlichen und charmanten Teenager auf der Pelle hingen, ihm jedes Wort von den Lippen ablasen und ihn mit großen Augen voller Verehrung anblickten. Er war alt genug, um ihr Vater zu sein, oder doch zumindest beinahe, und er wusste nie so recht, ob ihr ständiges Flirten wirklich so beiläufig zu deuten war, wie es schien. Nicht, dass er irgendetwas in dieser Hinsicht unternommen hätte, natürlich nicht! Es lag lange zurück, dass er im Bett mal was anderes getan hatte als zu schlafen. Zumindest hatte er es sich verbeten, dass sie ihm in der Öffentlichkeit in den Hintern kniffen.

Er entschied, dass er nun genug Luft - oder was im Slum dafür durchging - geschnappt hatte, und kehrte wieder ins Hotel zurück. Alessandra und Joanna wünschten ihm gute Nacht, warfen ihm Kusshände zu und bezogen Stellung vor der Tür. Das war das Äußerste an Distanz, was sie ihm zubilligten. Ursprünglich hatten sie mal am Fußende seines Bettes schlafen wollen, um ihn auch sicher gegen nächtliche Angriffe verteidigen zu können, aber das hatte er sehr entschieden abgelehnt. Esper betrachteten das Thema Privatsphäre mit notorischer Lässigkeit, aber Douglas hielt es da anders. Alessandra forderte ihn auf, es laut zu sagen, falls er in der Nacht irgendetwas brauchte, und er schloss die Tür sehr entschieden vor ihrer Nase. Gerade war er im Sessel zusammengesunken, als jemand kurz anklopfte und Nina Malapert hereingeschneit kam. Douglas konnte nicht umhin zu lächeln. Ihre grenzenlose Energie und ihr niemals endendes Lächeln munterten ihn einfach immer wieder auf.

»Hast du bei der Konferenz irgendwas vergessen,

Nina?« »Als ob das möglich wäre, Schatz! Ich bin immer hundertprozentig vorbereitet und professionell, das weißt du doch. Nein, ich wollte nur mal kurz hereinblicken und nachsehen, ob mit dir alles okay ist. Du hast während der Konferenz einen unübersehbar niedergeschlagenen und missmutigen Eindruck gemacht.«

Douglas seufzte schwer. »Ich gebe mir Mühe, eine optimistische Miene zu zeigen, aber Tatsache ist nun mal, dass wir nicht annähernd so gute Fortschritte machen, wie es nötig wäre. Wir können unser Gebiet nicht laufend vergrößern, um mehr Flüchtlinge aufzunehmen, ohne dass Finn irgendwann nicht mehr anders kann, als zurückzuschlagen. Und ich denke nicht, dass wir schon bereit sind für einen ausgewachsenen Krieg.«

»Finn ist nicht so dumm, dass er etwas anfängt, ohne sich des Sieges sicher zu sein«, wandte Nina lässig ein und setzte sich auf die Armlehne des Sessels. »Falls er seine Truppen in einen Frontalangriff wirft und wir ihm in den Arsch treten, wird er sich mit Aufständen auf allen Planeten des Imperiums konfrontiert sehen.«

»Du vergisst die Materiewandler. Solange Finn sie kontrolliert, hält er damit jedermann die Pistole an den Kopf.«

»Ach, puuh, vergiss die Maschinen! Du wirst dir schon eine Möglichkeit ausdenken, sie aufzuhalten. Das tust du doch immer.«

Sie schwatzte munter weiter, und Douglas duldete es. Er genoss ihre Gesellschaft, als Ratgeberin wie als Freundin. Sie war immer so lebhaft, so voller Energie und praktisch. Er wusste gar nicht, was er ohne sie hätte tun sollen. Nina ... war gut für ihn. Und sie hatte Grips hinter all dem Geschnatter. Sie half, die Ausfälle der Rebellen in die äußere Stadt zu planen, und arbeitete dabei mit den Informationen, den Fakten und den Gerüchten, die ständig von den diversen Korrespondenten eingingen. Sie hatte inzwischen ihre Leute überall, und die Nachrichtensite lief vierundzwanzig Stunden am Tag, ungeachtet aller Maßnahmen Finns, sie abzuschalten. Douglas fand toll, was Nina tat.

»Oh! Oh! Beinahe hätte ich es vergessen!«, sagte sie unvermittelt und schlug wie ein Kind die Hände zusammen. »Wir haben schließlich die Bestätigung erhalten, dass die beiden Flotten aufeinander geprallt sind und eine Schlacht ausgetragen haben, und dass sich Finns Flotte Lewis ergeben hat!«

Douglas setzte sich kerzengerade auf. »Wie zum Teufel konntest du etwas so Wichtiges vergessen?«
»Sei doch nicht so ein Nörgler, Douglas! Wenn du weiter so finster guckst, bekommst du noch Falten. Ich wusste doch, dass ich einen Grund hatte, um wieder hereinzukommen; er war mir nur kurz entfallen. Jedenfalls haben wir einige tolle Schlachtenbilder erhalten, auch mit Lewis, wie er einige Sachen anstellt, die du einfach nicht glauben wirst, aber ... die ganz große Nachricht lautet: die vereinte Flotte ist unterwegs nach Logres!«
»Eine Exklusivstory«, sagte Douglas lächelnd. »Ja!«
»Nina«, fragte Douglas sie streng, »bist du sicher, dass du vor unserer Konferenz noch nichts davon wusstest?«
Nina zog eine Schnute. »Nur Gerüchte, Süßer, nichts Eindeutiges. Und so was möchte man ja nicht verkünden, ohne wirklich Beweise zu haben. Noch immer kommen Einzelheiten herein, und wir senden alles, einschließlich der Kapitulation, auf jedem Planeten des Imperiums. Und meine Leute sind gerade dabei, Informationen von einem Schiff namens Erbe zu sichten, die sich um die tatsächlichen Ereignisse auf Usher II drehen, als der Schrecken dort eintraf. Dazu gehören einige ziemlich beunruhigende Details, die Finn hat unterdrücken lassen. Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass ich allmählich übersättigt bin, Darling! Früher mal wäre ich bei solchen Nachrichten auf- und abgehüpft und hätte hyperventiliert. Und jetzt habe ich schon seit Wochen meinen Freudentanz nicht mehr aufgeführt.«
»Das sind hervorragende Nachrichten!«, fand Douglas, stand plötzlich aus dem Sessel auf und stieß dabei Nina beinahe von der Armlehne. Er betrachtete sie geistesabwesend und marschierte dann in dem kleinen Zimmer auf und ab und dachte angestrengt nach. »Mal vorausgesetzt, dass bei der Schlacht keine zu großen Verluste eingetreten sind, dürfte die schiere Größe der kombinierten Flotte bedeuten, dass Finn ihr nichts mehr entgegenstellen kann, was groß oder stark genug wäre. Ihm bleiben da nur noch die Materiewandler ... Wir müssen eine Möglichkeit finden, sie stillzulegen ...«
»Was denkst du, wird Finn wohl unternehmen, wenn er die Nachrichten hört?«, fragte Nina.
Douglas lächelte grimmig. »Wie ich ihn kenne, etwas Extremes. Du solltest lieber wieder alle zusammentrommeln, Nina. Wir müssen erneut die Lage besprechen.«

Imperator Finn vernahm die Nachricht von der Kapitulation seiner Flotte, und er nahm sie sehr übel auf. Der Verlust der Flotte war nur die jüngste in einer ganzen Reihe von Hiobsbotschaften. Er zertrümmerte jedes einzelne Möbelstück in seiner Unterkunft und hämmerte mit den Fäusten an die kahlen Wände, ehe er eine kalte und sehr gefährliche Form der Selbstbeherrschung zurückerlangte. Er musste etwas unternehmen, etwas Großes und Dramatisches und fürchterlich Grauenhaftes, um aller Welt deutlich zu machen, dass er die Lage nach wie vor beherrschte. Also wandte er sich dem nächstliegenden Ziel zu, dem lästigsten Stachel in seinem Fleisch. Dem Slum. Er spazierte durchs Zimmer und beförderte Trümmerstücke von Möbeln mit Fußtritten aus dem Weg, und als er überzeugt war, dass sein Atem wieder normal ging, schaltete er den Bildschirm ein und rief Joseph Wallace in dessen Bunker an.

Joseph kam direkt aus dem Bett, als er vor seinem Imperator auftauchte, und wirkte ein wenig zerzaust und sehr argwöhnisch. Nachrichten, die so spät abends eintrafen, konnten nichts Gutes bedeuten.

»Der Zeitpunkt ist gekommen!«, erklärte Finn scharf. »Ich möchte, dass der Slum vernichtet wird, und Ihr werdet das für mich tun. Ich übertrage Euch die umfassende Verantwortung für alle meine Streitkräfte, lieber Joseph, und ich verlange im Gegenzug lediglich, dass Ihr in den Slum marschiert und jeden Mann, jede Frau und jedes Kind dort umbringt. Niemand darf entkommen! Keine Gnade, keine Gefangenen, keine Überlebenden. Brennt den Slum völlig nieder und lasst keinen Stein auf dem anderen! Ich unterstelle Euch meine sämtlichen Soldaten, meine Fanatiker der Militanten Kirche und der Reinen Menschheit, sämtliche Besessenen, die Ihr überreden könnt, Euch zu folgen, und jede Luftunterstützung, die Ihr braucht. Diesmal wird uns niemand aufhalten! Ihr werdet ungeachtet aller Verluste vorrücken, bis Ihr auf der anderen Seite zum Vorschein kommt und der Slum nicht mehr existiert.

Und Joseph, lieber Joseph - falls Ihr keinen Erfolg habt, kommt lieber auch nicht zurück!«

Trotz der späten Stunde war Diana Vertue immer noch auf den Beinen und im Slum unterwegs. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, regelmäßig selbst Streife zu gehen, angeblich, um nach Spionen und Informanten zu suchen, tatsächlich jedoch, um in den Fluss des Lebens und der Lebenden einzutauchen. Sie war lange Zeit tot gewesen und hatte sich noch immer nicht ganz an die unerwarteten Impulse und Leidenschaften des Körpers gewöhnt, den sie heute trug. Die Menschen blickten ihr nach und lächelten oder nickten manchmal, aber sie blieben dabei in sicherer Entfernung. Man respektierte Diana Vertue eher, als dass man sie liebte. Johana Wahns Legende war im Lauf der Jahre manch verschlungenen Pfaden gefolgt, und sie war von Anfang an eine sehr extreme Geschichte gewesen. Nicht mal Robert und Konstanze hatten sie reinwaschen können, nicht zuletzt, weil Diana als eine der wenigen unter den großen Helden immer noch aktiv war und regelmäßig über die Stränge schlug. Diana dachte gern, dass sie seit ihrer Rückkehr etwas milder geworden war.

Es war ein gutes Gefühl, wieder im eigenen Körper zu stecken - nach all den vielen Jahren, die sie nur als Gedanke im Massenbewusstsein der Überseele existiert hatte. Obwohl es sich streng genommen nicht um den eigenen Körper handelte. Die Wahnschlampen glaubten, Diana hätte sich durch einen Willensakt wieder manifestiert, und sie verzichtete darauf, sie von etwas anderem zu überzeugen, denn so wurde ihre Reputation untermauert. Sie erzählte den Wahnschlampen nicht die Wahrheit, weil nicht mal die langen Jahre dazu geführt hatten, Dianas angeborenen Verfolgungswahn abzustumpfen. Ein geteiltes Geheimnis ist kein Geheimnis mehr.

Diana Vertues ursprünglicher Körper war vor über hundert Jahren in einer Schlacht gegen die Überesper sehr gründlich zerstört worden. Jemand, dem sie vertraute, hatte sie in einen Hinterhalt gelockt, und ihr alter müder Körper und Geist waren dem geballten Auftritt aller Überesper zugleich nicht gewachsen. Gedankenfeuer verbrannten ihn vollständig, und im letzten Augenblick rettete die Überseele wenigstens ihren Verstand, ein so rasch und sachkundig durchgeführter Psieinsatz, dass selbst die Überesper ihn nicht bemerkten, ehe es zu spät war. Und so lebte Diana Vertue im Frieden und der Zufriedenheit der Überseele weiter, bis die kürzlichen Ereignisse sie wieder hervorriefen, in dem frischen jungen Körper, den sie für einen solchen Fall aufbewahrt hatte, erneuert und belebt.

Diana hatte immer Feinde gehabt und gewusst, dass diese sich zwangsläufig irgendwann einmal als stärker erweisen würden, also hatte sie Vorkehrungen getroffen und sich ein Schlupfloch freigehalten. Nach dem Ende des Krieges gegen die Neugeschaffenen nutzte sie ihren neuen (wenn auch flüchtigen) Status als Heldin, um etwas Entsetzliches und Unverzeihliches zu tun. Sie schikanierte die Anführer des Klonuntergrunds so lange, bis diese mehrere hirngelöschte erwachsene Klone aus Dianas eigenem Körpergewebe herstellten. Das war ein todeswürdiges Verbrechen sowohl für Diana als auch für die Klonanführer, die sich damit einverstanden erklärt hatten, aber nur wenige Menschen waren jemals stark genug gewesen, Johana Wahn einen Wunsch zu verwehren.

Sie hatte erwartet, in einem Körper zu sterben und gleich in einem neuen aufzuwachen, aber die Überseele mischte sich ein. Das kam für Diana recht überraschend, denn sie hätte nie gedacht, dass jemand einen so notorischen Störenfried integrieren wollte, aber es schien, dass sie auch für die Überseele als Heldin galt. Und inmitten des Massenbewusstseins fand sie einen unerwarteten Seelenfrieden und vergaß die Klone völlig. Aber sie hätte es wissen sollen: nicht mal der Himmel blieb ewig bestehen. Sie konnte Logres nicht einfach Finn überlassen und zusammen mit den übrigen Espern auf dem Weg des Ikarus entschwinden; als die fliegende Stadt Neue Hoffnung also nach Nebelwelt aufbrach, hatte Diana die Überseele schon verlassen und ihr Bewusstsein in einen der bereitliegenden Klonkörper übertragen.

Er lag noch immer in der Körperbank bereit und wartete auf einen Geist, der ihn in Besitz nahm. Diana glitt so mühelos hinein wie eine Hand in einen Handschuh, und da die Körperbank ihre Präsenz erkannte, belebte sie den Körper für Diana. Diese richtete sich abrupt auf und saugte tief Luft in die Lungen, und der Schock der körperlichen Sinne und Empfindungen war nach der langen Zeit als rein gedankliche Existenzform fast überwältigend. Nach einer Weile stemmte sich Diana aus der Körperbank und wankte auf unsicheren Beinen in dem aufgegebenen Lagerhaus herum. Die übrigen Tanks waren von Staub und Spinnweben umhüllt, und sonst fand man in dem Lagerhaus nichts weiter als Kälte und Schatten. Diana kontrollierte die übrigen Körper. Von den sieben, die sie hier gespeichert hatte, waren nur drei noch am Leben. Diana wischte den Staub von einer Sichtluke, und ein graues, mumifiziertes Gesicht erwiderte ihren Blick. Der Anblick des eigenen toten Gesichts verschaffte ihr einen schlimmen Augenblick, aber Diana war aus hartem Holz geschnitzt, und sie wandte sich ab und unterzog den neuen Körper einer Reihe sportlicher Übungen, um den Kreislauf richtig in Schwung zu bringen. Es lag lange zurück, dass sie sich ... als Mensch gefühlt hatte. Der Körper fühlte sich nicht ganz so an, wie sie sich erinnerte. Da lagen Unterschiede vor. In gewisser Hinsicht war es, als spukte sie in einem leeren Haus.

Und sie war es nicht mehr gewöhnt, sich so allein zu fühlen, abgeschnitten von den übrigen Geistern der Überseele. Sie hätte sie mit den Gedanken erreichen können, denn Nebelwelt war für einen so machtvollen Verstand wie ihren nicht zu weit entfernt, aber sie durfte das damit verbundene Risiko nicht eingehen. Die anderen hatten womöglich Einwände gegen manches, was sie getan hatte, gegen die Geheimnisse, die sie sogar vor ihnen wahrte. Außerdem war sie darauf angewiesen, sowohl ihren Feinden als auch ihren Bundesgenossen gegenüber als Mysterium zu erscheinen. Solange sie unsicher waren, solange fanden sie nicht das Gleichgewicht. Sie gestattete sich eine schwache Verbindung zu den neuen Anhängerinnen, den Wahnschlampen. Sie waren leidenschaftlich, forsch und enthusiastisch, und sie verehrten Diana offen, was an sich schon nützlich war. Trotzdem durfte Diana nicht mal sie zu nahe an sich heranlassen. Sie war jetzt genau wie Finn ein Monster. Sie hatte das Leben und die Seelen der sieben Frauen, die sonst ihre Klone gewesen wären, auf dem Altar der Notwendigkeit geopfert.

Aber andererseits hatte sie schon immer das Grausame und Nötige tun können, egal ob als Diana Vertue oder Johana Wahn.

Darin ähnelte sie ihrem Vater.
Sie genoss die Gesellschaft der Wahnschlampen, obwohl das nichts war im Vergleich zur Nähe in der Überseele, und sie tat ihr Bestes, um diesen jungen Frauen gegenüber offen zu sein, wann immer es möglich war. Die Wahnschlampen wollten wissen, wie es damals in der Zeit der Großen Rebellion wirklich gewesen war, wollten die Geschichte kennen lernen und nicht die Legende. Diana erzählte es ihnen, selbst wenn sie selbst dabei schlecht wegkam. Sie hatte sich nie dafür interessiert, eine Heldin oder Legendengestalt zu werden, außer wenn ihr das einen Vorteil verschaffte. Aber ... War da mal jemand Besonderes in Eurem Leben?, hatte Alessandra sie gefragt, und Diana stellte überrascht fest, dass sie darauf keine Antwort wusste, außer .., In dem Leben, das ich führen musste, war nie Zeit oder Raum für irgendjemanden außer mir.
Diana Vertue verlängerte ihre Schritte und eilte durch die schmalen Straßen, wollte solch beunruhigende Gedanken hinter sich lassen. Sie war zurück und hatte viel zu tun.
Und wenn ihr der gestohlene Klonkörper das Gefühl vermittelte, wie einer der besitzergreifenden Elfen zu sein, dann bemühte sie sich sehr, nicht darüber nachzudenken. Monster taten nun mal, was sie tun mussten.
Derweil sah sich Imperator Finn von eigenen Problemen in Anspruch genommen. Da die meisten Materiewandler in der Schlacht verloren gegangen, zerstört oder im Falle von Mog-Mor eher vermurkst worden waren, hatte er sein stärkstes Drohpotenzial verloren, um damit andere Planeten auf Linie zu halten. Hätten die Leute gewusst, wie wenige Materiewandler er noch übrig hatte, wäre er schon mit Aufständen im ganzen Imperium konfrontiert worden. Er benötigte schnell ein Ersatzdrohmittel, ehe irgendein verfluchter Held seinen Bluff in Frage stellte. Finn hatte davon gehört, was die Rebellenflotte mit den Materiewandlern im Orbit um Virimonde getan hatte, was zeigte, wie verwundbar diese Dinger durch einen Überraschungsangriff mit ausreichend starken Kräften waren.
Also machte sich Finn auf den Weg zu seinem Hausklonmeister Elijah du Katt, um sich davon zu überzeugen, wie weit seine Klonarmee gediehen war. Er hatte fünf Millionen neue Soldaten bestellt, alle aus seinem persönlichen genetischen Code entwikkelt, aber du Katt hatte bislang nur den ersten Schwung von weniger als einer halben Million Mann geliefert. Und was über ihre Qualität verlautete ... entsprach nicht ganz Finns Hoffnungen. Manchmal, überlegte Finn, liefen die Dinge nicht mal dann richtig, wenn man sie umbrachte, zerstückelte und als Partyhäppchen verteilte.
Du Katts Labor gehörte zu den am stärksten bewachten Einrichtungen des Imperialen Palastes. Finn hatte seine Freunde und Bundesgenossen gern in der Nähe, um sie im Auge zu behalten. Du Katt hielt einen der Klonprototypen zur Inspektion bereit, als Finn hereinschneite. Das Labor war makellos sauber und aufgeräumt, aber vielleicht war es doch ein bisschen zu hell erleuchtet, ein bisschen zu sorgfältig arrangiert. Finn seufzte innerlich. Alles sprach dafür, dass du Katt wieder mal seine eigenen Privatprojekte durchführte und die Beweise dafür ein wenig zu gründlich beseitigt hatte, als er von Finns Besuch erfuhr. Das musste allerdings auf später vertagt werden. Finn baute sich direkt vor du Katt und dem Klon auf und freute sich zu sehen, dass seine Nähe du Katts nervöses Augenzwinkern doch ein bisschen verschlimmerte. Nachdenklich musterte der Imperator den Klon: muskulöser Körper und ein Gesicht, das Finns berühmter Schönheit ähnelte, aber so viele Dinge waren an dem Klon missraten, dass Finn nicht mal wusste, womit er beginnen sollte. Die Arme waren unterschiedlich lang; ein leichter, aber unübersehbarer Buckel zierte den Rücken, und sämtliche Gesichtsknochen waren vergrößert und verzerrt. Der Klon sah nach einem schwachsinnigen Bruder Finns aus. Immerhin hielt er sich gut und blickte recht klar. Finn sah du Katt an, der zusammenzuckte.
»Ich hatte Euch ja gewarnt«, sagte du Katt schnell. »So viele Klone in so kurzer Zeit aus nur einem Muster zu entwickeln, das führte unausweichlich zu gewissen Abbauerscheinungen an der Vorlage und gewissen ... erträglichen Defekten.«
»Er sieht nach beschädigter Ware aus«, sagte Finn, der langsam um den Klon herumging. Der Klon selbst stand ruhig da, anscheinend ungerührt von dem, was hier über ihn gesagt wurde. Finn schniefte laut. »Kann er kämpfen?«
»Natürlich, natürlich! Die manuelle Geschicklichkeit bewegt sich in einem akzeptablem Rahmen. Die Klone wurden damit programmiert, wie man Schwert und Pistole führt, und sind dazu angehalten, fraglos alle Befehle auszuführen. Natürlich nur, solange diese nicht zu kompliziert sind ... denn ein gewisses Maß an Hirnschäden ist eingetreten, wie ich ja vorhergesagt hatte ... Aber Ihr habt schlichte, brutale Soldaten angefordert, und genau das bekommt Ihr. Er und seine vielen Brüder sollten sich für die simplen Aufgaben, die Euch vorschweben, als absolut zulänglich erweisen: das Abschlachten und Zerstören und ... so weiter. Viel Persönlichkeit bringen die Burschen nicht mit, aber das ist wohl nur gut so. Ihr könnt den ganzen ersten Schwung morgen auf der Straße haben, falls Ihr möchtet.«
Finn überlegte. »Einzelheiten, du Katt! Ich brauche Einzelheiten. Was genau stimmt an ihnen nicht?«
Du Katt seufzte. »Alle leiden unter akzeptablen kleinen körperlichen Störungen. Ihr solltet wissen: das sind noch die besten aus dem ersten Schwung. Siebenundvierzig Prozent waren dermaßen missgestaltet, dass sie für Eure Zwecke nutzlos waren. Sie mussten verschrottet und zur Wiederaufbereitung den Proteinbänken zugeführt werden. Von den Überlebenden ist keiner allzu clever, und sie zeigen alle eindeutig gewalttätige Tendenzen. Ein beträchtlicher Anteil von ihnen legte alle Symptome der Schizophrenie oder einen Teil davon an den Tag. Und sie erzielen ausnahmslos schlechte Werte im Bereich Einfühlungsvermögen. Nichts davon dürfte sich als problematisch erweisen, wenn man bedenkt, wofür Ihr sie einzusetzen gedenkt.«
»Völlig richtig«, bestätigte Finn. »Ihr habt gute Arbeit geleistet, du Katt. Schickt diesen Schwung sofort auf die Straße hinaus. Ich möchte, dass die Ordnung wiederhergestellt wird, und mir ist egal, wie die Klone das anstellen. Vielleicht sollte man ihnen allen irgendwelche Gesichtsmasken aufsetzen; ich möchte vorläufig nicht, dass man sie als Klone erkennt. Und die Gesichtszüge ... sind womöglich noch wiedererkennbar. Mein Gesicht wird im ganzen Imperium verehrt, und ich möchte das mit niemandem teilen.«

Es dauerte keine drei Stunden, bis die ersten der neuen imperialen Gardisten auf den Straßen von Logres erschienen, ausgerüstet mit Ganzkörperpanzerungen und ausdruckslosen stählernen Gesichtsmasken; schnell erwiesen sie sich als in jeder Hinsicht so brutal und gnadenlos wie die Friedenshüter aus den Reihen der Besessenen. In Parade der Endlosen fand man Bezirke, in denen es nach wie vor beinahe zivilisiert zuging, falls man dort nicht gar regelrecht Freiheit genoss, denn die Besessenen konnten auch nicht überall zugleich sein; die neuen Gardisten machten diesen Verhältnissen jedoch ein schnelles Ende. Sie setzten die Ausgangssperre streng durch, bestraften jegliche Gesetzesübertretung durch Hinrichtung gleich an Ort und Stelle und stampften jede Andeutung von abweichender Meinung oder Widerstand sofort nieder. Teilweise war das wortwörtlich zu verstehen. Joseph Wallace verfolgte diese neue Wendung der Dinge aus dem sicheren Bunker heraus und machte sich Sorgen.

Er hatte schon gewusst, dass Finn zusammen mit du Katt an irgendeinem geheimen Projekt arbeitete, aber die neue Garde war trotzdem so etwas wie eine Überraschung für ihn. Immer mehr hatte Joseph das Gefühl, ausgeschlossen zu werden und an Macht und Einfluss zu verlieren. Nominell war er immer noch das Oberhaupt der Militanten Kirche und der Reinen Menschheit, aber beide Organisationen genossen nicht mehr die öffentliche Unterstützung von früher. Niemand glaubte mehr an Religion oder Politik - nach allem, was Finn in beider Namen angerichtet hatte. Nur die hartgesottenen Fanatiker blieben, standen meist jedoch in persönlicher Treue zum Imperator, nicht zu Joseph Wallace. Die Menschen gingen nicht mal mehr zur Kirche... denn sie fürchteten sich davor, überhaupt aus dem Haus zu gehen. Joseph fühlte sich verloren. Die Menschen hatten sich gegen alles gewandt, woran er glaubte - und sie hatten sich gegen ihn gewandt. Deshalb verdienten sie auch alles, was mit ihnen geschah.

Obwohl Joseph es niemals eingestanden hätte, nicht mal sich selbst, verhielt er sich in jüngster Zeit immer unberechenbarer. Er beaufsichtigte den Bau einer sicheren Zuflucht für sich und seine verbliebenen treuen Anhänger: ein massiver Stahlbunker tief im Herzen der Stadt, bevölkert mit den wenigen Menschen, auf die er sich noch verlassen zu können glaubte. Er ließ den Bunker mit allen Annehmlichkeiten und Erfordernissen des Lebens ausstatten und umgab ihn mit tödlichen Abwehranlagen jeder der Menschheit bekannten Art. Inzwischen verließ er ihn nicht mehr, es sei denn, er wurde vom Imperator persönlich gerufen. Er hatte Angriffe gegen die Gedankensklaven, die seine Uniformen trugen, in die Wege geleitet, und er hielt diese Einsätze für subtil und geheim, getarnt als Säuberungen gegen die Ungläubigen - aber sie waren kein großer Erfolg. Kaum wurde ein besessener Friedenshüter getötet, traten zwei neue an seine Stelle.

Und so war niemand erstaunter als Joseph, als der Imperator ihm die Vernichtung des Slums übertrug. Es lag lange zurück, dass Finn sich herabgelassen hatte, persönlich seine Befehle an Joseph zu übermitteln. (Ihre kleinen Plauderstündchen zählten nicht. Dabei ging es nie ums Geschäft. Das war ja der springende Punkt.) Joseph hatte eher damit gerechnet, dass der Imperator endlich das Vertrauen in ihn verloren hatte und ihn den Wölfen vorwarf, aber stattdessen ... Joseph lächelte, während er mitten in seiner Funkzentrale saß und dem lauter werdenden Geschnatter seiner aufmarschierenden Armee zuhörte. Der Slum war eine harte Nuss, aber ein Erfolg bei einem so gefährlichen Unternehmen würde Joseph wieder an die Spitze bringen. Nicht zuletzt deshalb, weil Joseph keinesfalls beabsichtigte, die Armee wieder abzutreten, sobald die Arbeit erledigt war.

Der Imperator hätte den Slum mit jedem Mittel auslöschen sollen, nachdem man dort seinen letzten Angriff zurückgeschlagen hatte; er zögerte damals jedoch. Finn gab als Grund dafür selbst an, er könne sehr gefühlsduselig und sentimental sein bei Leuten, die ihm früher mal geholfen hatten, aber Joseph glaubte ihm kein Wort. Eher glaubte Finn wohl, er könnte die besonderen Talente, die man nur im Slum antraf, irgendwann mal wieder gebrauchen. Was natürlich ein zusätzlicher Grund für Joseph war, bei der Zerstörung des Slums sehr gründlich vorzugehen. Falls er diesen Feldzug richtig plante, konnte er daraus mit einer Machtposition hervorkommen, die fast an die des Imperators heranreichte, und dann ... war es vielleicht an der Zeit, die Spitze auszuwechseln.

Letztlich gelang es Joseph Wallace, eine wirklich höllisch große Armee aufzustellen. Zuerst trommelte er sämtliche Fanatiker der Militanten Kirche und der Reinen Menschheit zusammen, zu denen er noch Verbindung bekam, und übertrug ihnen die Planung des eigentlichen Einsatzes. Er traute ihnen zu, mit der richtigen Erbarmungslosigkeit und Effizienz zu Werk zu gehen. Er übertrug ihnen auch das unmittelbare Kommando über die Invasionsstreitmacht, während sie als Offiziere wiederum ihm unterstanden. Die Hauptmasse der Bodentruppen bestand aus sämtlichen Soldaten und Rauminfanteristen, die man noch auf Logres fand, ergänzt um eine erstaunliche Anzahl von besessenen Friedenshütern. Joseph sorgte dafür, dass die Letztgenannten die Hauptlast des Angriffs tragen würden. Je mehr tote Gedankensklaven, desto besser für alle. Und schließlich bot er sämtliche Luftkampfeinheiten auf, die noch auf Logres agierten: jede einzelne Gravobarke und Kriegsmaschine und jeden einzelnen Gravoschlitten. Diesmal würden keine Fehler passieren, würde es zu keinem Rückzug kommen!

Und als er bereit war, als er überzeugt war, nun wirklich keinen einzigen Mann, keine einzige Schusswaffe und kein einziges Fahrzeug zusätzlich auftreiben zu können, startete Joseph ohne Vorwarnung seinen Angriff. Seine Leute strömten aus allen Richtungen gleichzeitig über die erweiterten und schlecht verteidigten Grenzen des Slums, während gewaltige Gravobarken bedrohlich über dem dichten Gedränge auf den Straßen schwebten und ihre Bänke voller Disruptorkanonen auf die Häuser in der Tiefe abfeuerten. Die Soldaten, Gedankensklaven und Fanatiker streckten jeden nieder, der ihnen in die Quere kam, und zeigten dabei kein Erbarmen, nur unterschiedliche Grade an Hochstimmung. Ihre Befehle waren klar und die Ziele einfach, und es fühlte sich gut an, einen klaren und erkennbaren Feind zu haben, den sie angreifen konnten. Disruptoren feuerten unaufhörlich, und fliehende Menschenmassen gingen in Wellen zu Boden. Schwerter und Äxte stiegen und fielen, und das Blut floss dick durch die Gossen. Häuser explodierten, und ein Regen aus Steinen und Steinsplittern ging nieder, als die Energiestrahlen aus den sich am Himmel drängenden Fahrzeugen herabzuckten. Überall brachen Brände aus, und Josephs Krieger rückten immer weiter vor, entschlossen zu verhindern, dass wieder Überlebende zurückblieben, die phönixgleich aus der Asche aufsteigen konnten.

Nach dem ersten Schock formierten sich die Menschen des Slums neu und wehrten sich heftig. Douglas hatte darauf bestanden, dass jedermann auf dem erweiterten Gebiet des Slums irgendeine Form von Waffenausbildung absolvierte. Er hatte von Anfang an gewusst, dass dieser Angriff irgendwann erfolgen würde. Und so ergossen sich Männer, Frauen und sogar Kinder auf die Straßen und führten dabei Schwerter und Pistolen und alle möglichen improvisierten Waffen mit. Andere legten Sprengfallen und Hinterhalte und verlegten sich auf eine Guerillataktik aus plötzlichen Angriffen und rascher Flucht. Wer für den unmittelbaren Kampfeinsatz zu alt oder zu jung war, der stieg auf die Dächer und schleuderte schwere Gegenstände auf die Angreifer unter ihnen. Jeder im Slum war inzwischen ein Kämpfer. Sie hatten kämpfen lernen müssen, um zu überleben. Dafür hatte Finn gesorgt.

Nina Malapert schickte ihre Leute mit allen verfügbaren Kameras unverzüglich hinaus und sendete die Invasion live über ihre Website. Ob der Slum nun durchhielt oder fiel, das ganze Imperium würde es miterleben. Die übrigen Planeten mussten sehen, dass ein Aufstand möglich war - selbst wenn er mit dem Tod der letzten freien Menschen auf Logres endete.

Der Vormarsch der Invasoren wurde langsamer und stockte an manchen Stellen. Die alteingesessenen Slumbewohner waren harte und motivierte Kämpfer, die sich mit allen Waffen unter der Sonne auskannten und sogar mit einigen Waffen, die außer im Slum überall in Vergessenheit geraten waren. Sie setzten den imperialen Truppen schwer zu und nutzten dazu subtile, unerwartete und außerordentlich brutale Taktiken. Bald waren die Straßen übersät von toten Imperialen Soldaten, die sich mit den Leichen der Verteidiger mischten. Die neuen Slumbewohner fochten auch heftig und gut, sie, die die letzten friedlichen Bürger aus dem versunkenen goldenen Zeitalter waren. Ihre Seelen waren gestählt von allem, was Finn ihnen angetan hatte, und sie sahen sich getrieben von dem Bedürfnis, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Sie warfen sich auf die Invasoren und heulten dabei wie die Tiere, und bei diesem Anblick wurde Douglas ein bisschen traurig. Er war Paragon geworden, um für das Gute zu streiten, damit die normalen Bürger es nicht zu tun brauchten. Er hatte für ihre Sicherheit und ihr geistiges Gleichgewicht gekämpft, damit sie nie mit solcher Gewalt konfrontiert wurden. Er wusste, dass sie jetzt kämpfen mussten - ja, er war sogar auf ihren Beistand angewiesen - aber er freute sich nicht über den Anblick verlorener Unschuld.

Die Wahnschlampen schwangen sich in die Lüfte empor und tauchten wie Racheengel am Himmel des frühen Morgens auf. Sie stürzten sich auf die schwerfälligen Gravobarken und pusteten die antiquierten Flugmaschinen mit einer lebhaften pyrotechnischen Schau von Psikräften auseinander. Geschützluken explodierten; stählerne Granaten zerrissen wie Papier, und furchtbare bunte Brände tobten durch das dichte Gedränge im Innern der Barken. Die riesigen Kriegsmaschinen schwankten aus dem Kurs, rammten sich gegenseitig oder trieben einfach hilflos am Himmel entlang, während schwarzer Rauch aus ihren zertrümmerten Triebwerken quoll. Angriffsschlitten und ihre ungeschützten Fahrer stürzten wie brennende Vögel vom Himmel.

Der Schwerpunkt der Kämpfe lag jedoch weiter am Boden, während sich der Slum wie ein Mann gegen die Invasoren erhob und den Feind mit bösartiger Fertigkeit und rechtschaffener Wut niederstreckte. Die imperialen Soldaten kämpften mit scharfer Präzision; die Fanatiker warfen sich mit eiskalter Wut in die Schlacht, davon überzeugt, dass ihr Gott auf ihrer Seite stand, und sie sangen dabei entsetzliche Ruhmeslieder; und die Gedankensklaven ... stritten mit glücklichem Lächeln, ohne sich um Leben oder Tod zu scheren, denn ihre Körper bedeuteten den Geistern nichts, von denen sie gesteuert wurden. Und nichts davon bedeutete auch nur einen Dreck, denn der Slum war erwacht, war letztlich zur Schlacht gezwungen worden und entdeckte, wie gut es sich anfühlte, gegen einen verhassten Feind zurückzuschlagen. Die Straßen füllten sich mit Blut und Leichen und den Schreien der Sterbenden, und die Kreuzungen wurden verstopft von drängenden, wogenden Mobs. Die Invasoren kamen zum Stehen und wurden schließlich zum Rückzug getrieben vom schieren Gewicht der Masse, die sich auf die Straßen ergoss und sich ihnen entgegenwarf. Die Invasoren kämpften nur, um zu siegen, der Slum aber kämpfte für eine Sache. Für die Freiheit. Und was bedeutete schon der Tod, verglichen mit dem Versprechen, von Furcht und Tyrannei erlöst zu werden?

Douglas Feldglöck und Stuart Lennox kämpften Schulter an Schulter und manchmal auch Rücken an Rücken. Niemand hielt ihnen stand, obgleich es viele versuchten. Die beiden tauchten stets im dicksten Getümmel auf und inspirierten ihre Kämpfer mit wagemutigen Kunststücken und ruhiger Entschlossenheit. Sie warfen sich dem Feind frontal entgegen und trotzten allen Gefahren, und die Menschen des Slums folgten ihnen und stimmten ihre Namen als Schlachtrufe an.

Diana Vertue, die manchmal immer noch Johana Wahn war, schritt die Straßen entlang, und wohin immer ihr Blick fiel, starben feindliche Soldaten. Manche explodierten; andere gingen in Flammen auf, die nicht gelöscht werden konnten, und einige kippten einfach nur rücklings um und brüllten sich den Verstand aus dem Leib angesichts dessen, was sie in Dianas Augen erblickt hatten. Diana bemerkte es nicht einmal. Sie suchte tief im eigenen Innern und konzentrierte die volle Kraft ihres außergewöhnlichen Verstandes auf die Verbindung zwischen den Überespern und deren Gedankensklaven im Slum. Diana sah die Verbindung deutlich, und das Bild erinnerte sie an das verworrene Netz einer wahnsinnigen Spinne, die über dem Slum hing und alles aus der Distanz steuerte. Diana durchtrennte die Verbindung mit einer einzigen Woge destruktiver Energie, und im ganzen Slum brachen Männer und Frauen zusammen und waren nicht länger besessen. Wieder bei Sinnen, hörten sie sofort auf zu kämpfen, setzten sich hin, weinten und schrien. Die Erinnerung an das, wozu man sie gezwungen hatte, brach über sie herein. Manche von ihnen umarmten gar die verwirrten Kämpfer des Slums und dankten ihnen für die Befreiung.

Mit einem Schlag war die Invasionsarmee halbiert worden, und ihre bereits schwankenden Reihen fielen auseinander. In kleineren, leicht zu überwältigenden Gruppen wurde ihnen rasch klar, dass sich ihnen keine Hoffnung auf einen Sieg mehr bot, und die Klügeren nahmen Reißaus. Aus der Invasion wurde eine wilde Flucht. Die Slumbewohner brachten erst jene Fanatiker um, die ihnen standhielten, dann verfolgten sie die Flüchtigen und streckten sie von hinten nieder. Sie hatten zu viel Gemetzel und Zerstörung miterlebt, um noch an Gnade zu denken. Letztlich gelang nur einem einzigen Mann die Flucht aus dem Slum.

Joseph Wallace hatte sich zu keinem Zeitpunkt tief in feindliches Gebiet vorgewagt. Er blieb unweit der Slumgrenze zurück und bemühte sich angestrengt, über die Ereignisse auf dem Laufenden zu bleiben. Er war überhaupt nur persönlich erschienen, weil der Imperator es verlangt hatte. Joseph konnte gar nicht glauben, wie schnell seine wunderbare Armee zerfiel. Es hätte ein Spaziergang werden sollen, dieser Einsatz seiner ausgebildeten und fanatischen Krieger gegen das Gesindel aus dem Slum. Alle Lektronensimulationen hatten es versprochen. Stattdessen musste er nun hilflos verfolgen, wie seine Leute starben, von der Übermacht überwältigt wurden. Sogar seine prächtige Luftwaffe war zerschlagen, war durch diese Espermonster vom Himmel gefegt worden. Er rief panisch nach Verstärkung, nach irgendeiner Form von Unterstützung, erhielt aber keine Antwort. Es gab keine Soldaten mehr; Finn stellte seine eigenen Fanatiker nicht zur Verfügung, und die Elfen ... schwiegen. Letztlich blieb Joseph Wallace nur die Flucht. Niemand versuchte ihn aufzuhalten. Es gelang ihm, die Slumgrenze zu überqueren und wieder die streng regulierten Viertel von Parade der Endlosen zu erreichen. Dort erwarteten ihn ein Dutzend persönliche Eiferer des Imperators. Sie trugen das Scharlachkreuz der Militanten Kirche auf den Rüstungen, aber als er ihnen einen Befehl erteilen wollte, fielen sie über ihn her und zwangen ihn auf die Knie.

»Was tut ihr da?«, brüllte er. » Was tut ihr da?« Sie schlugen ihm den Kopf ab, steckten ihn auf eine Lanzenspitze und brachten ihn Finn. Den Rest der Leiche ließen sie auf der Straße liegen, damit er dort verfaulte. Schließlich hatte man Joseph aufgefordert, nicht zurückzukehren, falls er scheiterte.

Das war der erste große Fehlschlag des Imperators, den die Menschen live auf Bildschirmen im ganzen Imperium verfolgen konnten. Über Nacht wurde der Slum zum Symbol für einen erfolgreichen Aufstand, zum Beweis, dass man sich dem Imperatur widersetzen und damit durchkommen konnte. Während der Slum seinen Sieg feierte und seine Verluste betrauerte, brachen überall auf imperialen Planeten Aufstände aus. Die imperialen Truppen wurden überrascht und überrannt. Finn konnte keine zusätzlichen Einheiten mehr schicken. Er hatte selbst zu viele Probleme, also tat er das, was er Joseph befohlen hatte, das eine, wovor Joseph zurückgeschreckt war. Er suchte sich aufs Geratewohl einen Planeten aus, eine rückständige, aber behagliche Welt namens Pandora, und reduzierte alles Leben dort durch Materiewandler zu undifferenziertem Protoplasmaschleim. Die Nachricht verbreitete sich schnell, und die Aufstände brachen gleich wieder zusammen, weil niemand den Menschen mehr verraten konnte, wie wenige Materiewandler man im Imperium überhaupt noch fand.

Bis Nina Malapert wieder im Studio auftauchte. Sie hatte noch rote Backen und war ganz atemlos von den Kämpfen auf der Straße, aber sie ergänzte ihre Livesendungen von der Invasion durch frische Informationen von der vereinten Flotte, die sich derzeit Logres näherte. Sie informierte die lauschenden, verängstigten Planeten, dass die meisten Materiewandler bei Mog-Mor vernichtet worden waren, und untermauerte diese Angabe durch Aufnahmen aus dem Sternenschiff Erbe. Und die Aufstände gingen erneut los, diesmal angestachelt durch die Wut über das Schicksal Pandoras.

Finn Durandal saß allein in seiner Privatunterkunft und dachte nach. Er konnte immer noch siegen. Er musste dazu der Rebellion nur den Kopf abschlagen; dann stürzte der Körper und fiel auseinander. Er musste nur die Galionsfigur ausschalten, den gefeierten König der Diebe, und schon blieb der Slum führerlos zurück und zersplitterte in einander befehdende Fraktionen. Sie hingen von Douglas ab, nicht nur was die politische Führung anging, sondern auch im Hinblick auf die Vision. Ja, Finn musste nur seinen alten Freund und Kameraden Douglas Feldglöck töten, den Mann, der von jeher die Quelle von Finns Problemen darstellte.

Finn hatte von der Kapitulation seiner Flotte noch nichts gewusst, aber dann erreichte ihn die Nachricht von der bevorstehenden Invasion. Es hatte so lange gedauert, weil niemand Überbringer dieser Nachricht sein wollte. Zuerst hatte man es Joseph gesagt. Der jedoch war zu sehr damit beschäftigt, die Invasion des Slums zu planen. Endlich fand sich ein Fanatiker der Militanten Kirche mit einem ausgeprägten Pflichtgefühl und einem unterentwickelten Selbsterhaltungstrieb, und man schickte ihn zum Imperator. Finn lauschte schweigend der Meldung, dass die vereinigte Flotte nun Kurs auf Logres nahm und dabei die Absicht verfolgte, ihn mit einem Fußtritt vom Thron zu befördern. Als er sicher war, alle Einzelheiten erfahren zu haben, prügelte er den Übermittler mit bloßen Händen zu Tode, stürmte dann mit Schwert und Pistole durch die Flure seines Palastes und brachte jeden um, der ihm in die Quere kam. Sogar seine getreuesten Anhänger nahmen lieber Reißaus, als sich seinem weiß glühenden Zorn zu stellen. Auch die eigene Leibwache verdrückte sich. Nach sehr langer Zeit ging Finn einfach die Energie aus. Er sackte schwer atmend an eine blutbespritzte Wand, und Blut tropfte auch dick vom Schwert in seiner Hand. Endlich entschied er, dass er für einen Tag genug Dampf abgelassen hatte. Müde schleppte er sich in die Unterkunft zurück und goss sich mehrere große Brandys ein.

Er steckte das Schwert weg, ohne sich die Mühe mit der Reinigung der Klinge zu machen, und lachte unsicher. Es war lange her, seit er sich zuletzt gegönnt hatte, dermaßen die Sau herauszulassen. Aber er durfte sich jetzt keine Schwächen mehr gönnen. Er musste nachdenken ... Er hob den einzigen noch intakten Sessel auf, stellte ihn wieder auf die Beine und setzte sich. Alles hing letztlich an Douglas. Falls Finn den Exkönig umbrachte, ehe die vereinigte Flotte eintraf, konnte er anschließend aus einer Position der Stärke verhandeln. In Anbetracht des heranziehenden Schreckens brauchte das Imperium einen starken Mann auf dem Thron. Das mussten die anderen einfach wissen. Und wer stand ohne Douglas noch für den Job zur Verfügung? Der entlaufene Todtsteltzer? Das war eher unwahrscheinlich.

Er lächelte bedächtig, und die letzten Spannungen in den Muskeln lösten sich. Er konnte mit Douglas fertig werden. Er wusste, wie der Feldglöck dachte, wie er ihn erreichen konnte, was ihn bewegte. Schließlich waren sie so lange Freunde und Kollegen gewesen ... Finn verstand Douglas, aber Douglas glaubte nur, er verstünde Finn. Also müsste es sich als völlig unproblematisch erweisen, Douglas eine Falle zu stellen und ihn dann zu töten.

Finn ging los, um sich mit Anne Barclay zu besprechen. Das bedeutete auch, mit Dr. Glücklich reden zu müssen, was weniger schön war. Der gute Doktor hatte noch weiter abgebaut und war kaum noch ein Schatten seiner selbst. Finn betrat das private und sehr gut abgesicherte Labor, das er im Palast für den Doktor und seine Patientin unterhielt. Er fand Dr. Glücklich dabei vor, wie er auf allen vieren auf dem Boden herumkrabbelte und nach einem abgefallenen Teil seiner selbst suchte. Finn musste ihn mehrmals beim Namen rufen, ehe der Mann reagierte und sich widerstrebend und schwankend wieder auf die Beine erhob. Viel war nicht übrig von Dr. Glücklich. Er hatte nichts weiter an als seinen fleckigen und zerknitterten Laborkittel, unter dem ein eingeschrumpfter und ausgetrockneter Körper voller Löcher zu sehen war, gekrönt von einem Gesicht, das kaum noch mehr war als ein kahler Totenschädel mit ein paar Strängen widerborstiger, abstehender Haare. Nase und Ohren waren heruntergefallen, die Lippen nur noch bleiche Fetzen. Dr. Glücklich wackelte auf freundschaftliche Art mit dem Finger vor Finn und musterte diesen unsicher aus eingesunkenen pissgelben Augen.

»Wie schön, Euch wieder mal zu sehen, Finn! Ja! Ich arbeite derzeit an einem wunderbaren neuen Experiment, das uns ermöglicht, die Organe anderer Leute als Ersatzteile zu verwenden ... Stellt Euch mal vor, was Ihr tun könntet, falls Euer Körper drei Herzen und zwei Lebern hätte ... Ich habe die Wahrscheinlichkeitsgrenze durchbrochen! Ja, das habe ich! Seht Ihr, binnen kurzem werde ich aus mir selbst einen neuen Menschen gemacht haben. Zwar hält mich die Tech in Gang, aber es fehlt ihr an ... etwas. Das Fleisch ist der Schlüssel zu allen Mysterien.«

»Nun«, sagte Finn, »das klingt alles ziemlich verrückt, aber auf mich warten Geschäfte. Wie geht es Anne?«

»Ein Kunstwerk ist sie, falls ich das sagen darf. Man könnte sie jetzt mit einem Hadenmann konfrontieren und mit den Zusatzwetten ein Vermögen verdienen. Geht und führt ein schönes Schwätzchen mit ihr, während ich versuche, meine Genitalien zu finden.«

Finn machte einen weiten Bogen um Dr. Glücklich und betrat den verstärkten Stahlbunker, der hinter dem Labor als Wohnung für die neu gebaute Anne Barclay diente. Finn sah sie reglos und lautlos mitten im Raum stehen und ins Leere blicken. Sie schenkte nicht mal dem Spiegel Beachtung. Durch den synthetischen Aufwind zusätzlich zu den vielen Techimplantaten war sie lange Zeit unruhig gewesen und hatte zu plötzlichen Gewaltausbrüchen geneigt, aber das schien der Vergangenheit anzugehören. Zumindest wiesen die Stahlwände anscheinend keine neuen Dellen auf. Finn näherte sich Anne vorsichtig.

»Hallo Anne, wie geht es uns denn heute?« »Ich weiß nicht, wie es Euch geht«, sagte Anne, ohne sich umzudrehen, »aber ich kämpfe mit den Stimmen in meinem Kopf. Dr. Glücklich hat Lektronen in mir installiert, um die verschiedenen Servomechanismen zu unterstützen, und ich kann sie im Hinterkopf jaulen hören. Ich führe einen Bürgerkrieg im eigenen Schädel, und ich fürchte, ich könnte ihn verlieren. Warum habt Ihr mir das angetan, Finn?«
»Ich konnte Euch nicht sterben lassen.«
»Warum nicht? Ihr habt so viele Menschen sterben lassen. Und in meinem Fall wäre es vielleicht wirklich die nettere Variante gewesen.«
»Ich konnte nicht auf Euch verzichten«, beharrte Finn, »denn Ihr wart die Einzige, die das Monster in mir erblickte und dabei nicht zusammenzuckte.«
Anne blickte ihn jetzt zum ersten Mal aus ihren leuchtenden goldenen Augen an und lächelte kurz. »Man braucht ein Monster, um ein anderes zu erkennen.«
»Ich möchte Euch helfen«, sagte Finn. »Erklärt mir, wie.«
»Wisst Ihr denn nicht, was ich brauche, Finn?« »Emotionelle Unterstützung. Darin war ich jedoch nie sonderlich gut. Mir fehlt einfach das Talent dafür.«
»Dann seid Ihr für mich nutzlos. Ihr müsstet Mensch sein, um zu begreifen, was ich durchmache, und das habt Ihr schon vor langer Zeit hinter Euch gelassen.«
Finn blickte sie an und fühlte sich hilflos. Er mochte dieses Gefühl nicht. Er erkannte, was sie brauchte, hatte aber keine richtige Vorstellung davon. Hatte er noch nie gehabt. Emotionen waren etwas, das er im Großen und Ganzen nur aus der Ferne kannte. Aber er bemühte sich trotzdem, denn er musste einfach glauben können, dass selbst Monster nicht ständig Monster zu sein brauchten.
»Ich könnte Euch immer noch zu meiner Königin machen«, sagte er. »Euch neben mich auf den Thron setzen. Niemand würde etwas dagegen sagen. Niemand würde es wagen.«
Anne lachte schroff. »Ich kann mir jemanden wie mich wirklich auf dem Thron vorstellen! Ein perfektes Symbol für das Imperium, das Ihr geschaffen habt, Finn. Nein. Ich wollte nie Königin werden. Ich habe mir überhaupt nur so wenig gewünscht und nicht mal das erhalten. Und jetzt... fühle ich mich von dem verfolgt, zu dem ich mich hätte entwickeln können: jemand, der stärker, besser, glücklicher ist. Jetzt bin ich nur noch, was Ihr aus mir gemacht habt. Nur ein weiteres armes, verdammtes Monster - wie Ihr selbst.«
Finn dachte darüber nach und zuckte in Gedanken die Achseln. Anne war für ihn verloren, saß in ihren eigenen Begrenzungen gefangen. Was bedeutete, dass er keine Verwendung mehr für sie hatte, außer als Waffe, die er gegen seine Feinde einsetzen konnte. Also wandte er sich ab und ließ sie in ihrem Zimmer zurück, ihrem Käfig, nickte dem beschäftigten Dr. Glücklich zum Abschied zu und machte sich auf, den Plan umzusetzen, mit dem er Douglas Feldglöck in eine Falle zu locken und umzubringen gedachte.

Zuerst gab er auf seinen handzahmen Nachrichtensendern die Bekanntmachung heraus, dass Anne Barclay doch nicht tot war, sondern vielmehr in strenger Abgeschiedenheit lebte, bis sie von ihren vielen ernsten Verletzungen genesen war. Jetzt, da es ihr wieder recht gut ginge, konnte sie endlich wegen Verrats und Mordes an dem beliebten Paragon Emma Stahl vor Gericht gestellt werden. Ein Schauprozess würde stattfinden und auf allen Kanälen übertragen werden, alsbald gefolgt von einer in die Länge gezogenen, schmerzhaften und blutigen Hinrichtung.

Finn sah sich anschließend eine Aufzeichnung an und gab sich selbst Punkte für eine ausgezeichnete Darbietung. Er hatte genau den richtigen Ton verratenen Vertrauens und entrüsteter Ehre angeschlagen. Noch immer besaß er den Briefbeschwerer aus Kristall, mit dem Anne Emma Stahl zu Tode geprügelt hatte, und noch immer klebte das getrocknete Blut des Paragons daran. Schon damals hatte er gefühlt, dass sich dieses Ding einmal als nützlich erweisen könnte. Obwohl er nicht plante, es als Beweis vorzulegen. Ein Prozess würde nie stattfinden. Dafür sorgte Douglas schon. Nur ein Blick auf diese Nachrichtensendung, und Douglas würde zu Annes Rettung herbeieilen - da sie nach allem, was geschehen war, nach allem, was sie getan hatte, immer noch seine Freundin war. Douglas kam gewiss zu ihrer Rettung, weil er immer noch an Menschen glaubte. Darin bestand von jeher seine größte Schwäche.

Nina Malapert empfing die Nachricht als Erste. Sie beeilte sich, ein privates Treffen zwischen Douglas, Stuart und ihr zu arrangieren, und weigerte sich, einen Grund anzugeben, bis sie in Douglas' Zimmer versammelt waren. Zwei Wahnschlampen hielten vor der Tür Wache und sorgten dafür, dass niemand das Gespräch störte. Douglas und Stuart saßen in den beiden Sesseln und blickten Nina gespannt an, die zu nervös war, um ruhig zu sitzen oder zu stehen. Schließlich verschränkte sie die Arme fest unter den Brüsten, vor allem, damit die Hände nicht zitterten, und trug die Neuigkeit so schnell und so sanft vor, wie sie nur konnte. Sie hielt sich an die nackten Tatsachen und verzichtete auf jeden Kommentar. Dabei behielt sie Douglas sorgfältig im Auge. Nachdem sie fertig war, sagte er lange Zeit nichts. Nina und Stuart blickten sich gegenseitig an.

»Du denkst an einen Rettungseinsatz«, sagte Stuart schließlich. »Tu das nicht! Wir dürfen das Risiko nicht eingehen, Douglas. Sie wird im Palast festgehalten. Wir brauchten eine Armee, um dort auch nur einzudringen, und ich sehe keinen Grund, warum wir so viele gute Leute für eine heimtückische Verräterin wie Anne Barclay riskieren sollten.«

»Wir brauchten keine Armee«, wandte Douglas ein. »Ich kenne alte, geheime Wege in den Palast, weißt du noch? Wege, von denen Finn nichts ahnt.«

»Du überlegst dir, dort allein einzudringen, nicht wahr?« fragte Nina. »Süßer, es ist eine Falle! Das muss es sein!«

»Natürlich ist es eine Falle«, sagte Douglas in gefährlich ruhigem Ton. »Finn verstand sich schon immer darauf, an meinen Ketten zu zerren. Aber das ist egal. Ich bin schlauer als er.«

»Und schaffst du es, zu Anne vorzudringen, ungeachtet aller Hindernisse und Fallen, die er dir in den Weg stellen wird?«

»Natürlich.«
»Warum das alles?«, fragte Stuart und machte sich gar nicht die Mühe, seine Frustration zu verhehlen. »Was macht Anne denn so wichtig? Sie hat Lewis, Jesamine und dich verraten, und Finn hat schließlich zugegeben, dass sie es war, die Emma Stahl ermordet hat!«

»Sie war Finns Miststück«, sagte Nina. »Und jetzt braucht er sie nicht mehr und wirft sie den Wölfen zum Fraß vor, und ich sage, schön, das wir sie los sind.«

»Ihr habt sie nicht kennen gelernt, wie sie früher war«, gab Douglas zu bedenken. »Sie war zu ihrer Zeit einfach klasse. Sie war mein Freund. Freunde lässt man nicht im Stich, nur weil sie Schlimmes getan haben. Ich denke ... vielleicht hatten wir alle sie schon lange verraten, ehe sie es mit uns tat.«

»Douglas, sie ist schon lange nicht mehr dein

Freund«, sagte Stuart.
»Deshalb muss ich ja ihr Freund sein«, erklärte
Douglas. »Ein letztes Mal.«

Er schwor sie beide darauf ein, Stillschweigen zu bewahren, und verließ den Slum allein, folgte dabei geheimen Pfaden, die er noch aus seiner Zeit als Paragon kannte. Er brach allein und in Verkleidung auf, denn er wusste, dass seine Leute ihn aufgehalten hätten, falls sie davon erfuhren — und er war nicht bereit, sich aufhalten zu lassen. Er schlüpfte verstohlen über die Grenze und drang in die dunklen leeren Straßen von Parade der Endlosen vor, hielt sich im Schatten, um den Friedenshütern auszuweichen, und blieb den Elfen durch den alten Paragon-Esp-Blocker verborgen, den er am Gürtel trug. Er nahm Kurs auf den Palast, und niemand sah ihn kommen.

Er musste es einfach tun. Vielleicht weil Anne der allerletzte Teil seines alten Lebens war, den er vielleicht noch retten und heilen konnte. Alles andere war verändert oder verloren, darunter er selbst. Er musste aber irgendwas retten.

Die einzige Person, die ihn womöglich aufgehalten hätte, war Diana Vertue. Also suchte er sie auf, ehe er loszog, erzählte ihr von seinem Plan und bat sie, sein Fortgehen durch Störsignale zu vertuschen. Diana erklärte sich einverstanden. Sie wusste alles über notwendige emotionale Handlungen und noch mehr über Aufopferung.

Und falls ich nicht zurückkehre...
Wird man Euch rächen,
sagte Johana Wahn.

Finn Durandal saß in einem Sessel in Dr. Glücklichs Labor und verfolgte, wie die Reste des guten Doktors kreuz und quer durch den Raum huschten. Finn hatte seinen eigenen Sessel mitbringen müssen; Dr. Glücklich war weit über solche Hilfsmittel alltäglicher Bequemlichkeit hinaus. Seine komplette Haut war inzwischen grau und angegammelt, durchsetzt von dunklen Löchern im freiliegenden roten Fleisch des Körpers, hier und dort gefärbt in den Purpur-und Grünschattierungen von Gangränen. Scharfkantige, klobige und funktionelle Hilfstech ragte überall aus dem Körper hervor. Und seit er sich eine Dosis des neuen Aufwinds gegönnt hatte (Er hatte einfach nicht widerstehen können! Er musste es wissen!), schien sich der Abbau der geistigen Fähigkeiten beschleunigt zu haben, um mit dem überladenen Stoffwechsel Schritt zu halten. Dr. Glücklich zuckte kreuz und quer durchs Labor, konnte keinen Augenblick lang irgendwo stillstehen, prallte immer wieder von den robusteren Apparaten ab, kicherte und bellte und stimmte Liedfetzen an.

»Dr. Glücklich!«, sagte Finn entschieden. »Versucht doch mal, Euch irgendwo in der Nähe meiner Realität niederzulassen, und redet mit mir. Habt Ihr Annes Lektronenimplantate meinen Anweisungen gemäß programmiert?«

Dr. Glücklich stoppte vor Finn, gurgelte ein paar Mal und musterte den Imperator ausgiebig, als ob er sich zu erinnern versuchte, wo er ihn schon einmal gesehen hatte. Er verschränkte die verwüsteten Hände vor der eingesunkenen Brust und nickte so abrupt, dass Finn sich aufrichtig sorgte, dem Mann könnte der Kopf herunterfallen.

»Alles erledigt! Alles erledigt! Oh ja! Ich habe ihr Gehirn programmiert. Ihr neues Lektronengehirn, tief in der Medulla oblongata und dem alten Reptilienstammhirn vergraben. Unsere Instruktionen werden nun von der Kraft der Instinkte getragen. Sie wird also das Richtige tun, ob sie nun möchte oder nicht. Zumindest glaube ich, dass ich so vorgegangen bin. Mein Zeitgefühl ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass ich mich an Dinge erinnere, bevor ich sie getan habe. So viele Welten sind zu sehen und so wenig Zeit ist dafür! Ja! Ich baue ab, wisst Ihr? Dauert jetzt nicht mehr lange. Ah, der Tod - der letzte Höhepunkt...«

»Wird Anne tun, was sie für mich tun muss?«, fragte Finn geduldig. Man konnte niemanden schikanieren oder bedrohen, der sich tatsächlich auf den Tod freute.

»Oh ja. Ich habe dafür gesorgt. Sollte sie den Mut verlieren, wird die Tech sie weitertragen. Ich bin sehr gründlich vorgegangen. Sie erinnert sich nicht mal daran, dass ich sie programmiert habe.«

»Gut. Douglas wird bald hier sein. Das weiß ich. Versucht, ihm nicht in die Quere zu kommen, Doktor. Ich möchte, dass Anne und Douglas es unter sich austragen.«

»Werdet Ihr nicht dabei sein?«, fragte Dr. Glücklich und steckte geistesabwesend den Finger in ein Loch in der Brust, um mal zu sehen, wie tief es reichte.

»Nein. Ich möchte, dass nichts ihre Wiedervereinigung stört. Ich verfolge die Ereignisse aus sicherer Entfernung. Ich möchte sehen, wie sich dieser König der Diebe entwickelt hat, ehe ich ihm persönlich gegenübertrete. Die erste Regel des Krieges, Doktor: Mache dich mit dem Feind vertraut.«

»Macht Euch mit der Parole vertraut«, sagte Dr. Glücklich streng und versuchte sich mal für eine Zeit lang wieder in zusammenhängenden Gedanken, nur um zu prüfen, wie sich das anfühlte. »Falls alles andere versagt, wird Euer Befehlswort die Sicherungen aktivieren, die ich in ihrem Kopf eingebaut habe. Seid Ihr jetzt fertig mit mir? Es ist so anstrengend, für eine nennenswerte Zeitspanne bei Verstand zu bleiben. Verstand! Wird überschätzt, falls Ihr mich fragt. Seid mit Euch selbst vertraut, Finn. Das ist viel wichtiger. Wir alle sind tief und enthalten Wunder. Fische.«

Finn entschied, dass er alles von Dr. Glücklich erfahren hatte, was überhaupt möglich war, und erhob sich, um zu gehen, als der Doktor plötzlich erstarrte und den knochigen Schädel schief legte, als lauschte er auf etwas, während der Blick der eingesunkenen Augen ins Leere ging.

»Jemand kommt«, sagte er. »Er nähert sich wie ein Gewitter und trägt Blut und Zorn im Herzen.«
Finn lächelte. »Gut«, sagte er. Und ging.

Der Mann, der einst Paragon gewesen war, dann König des goldenen Zeitalters und in jüngster Zeit König der Diebe, der aber jetzt und für diesen Einsatz nur ein Mann namens Douglas Feldglöck war, lief gleichmäßig durch die antiken gemauerten Tunnel des imperialen Palastes. Ein ganzer Irrgarten aus Untersystemen und Wartungswegen befand sich unter dem eigentlichen Palast, und die meisten Menschen wussten überhaupt nichts davon; manche dieser Gänge waren so alt, dass sie nicht mehr auf offiziellen Bauplänen auftauchten - verlassen und aufgegeben, ursprünglich mal angelegt, um Gebäude zu versorgen, die gar nicht mehr standen und auf deren Resten sich der Palast erhob. Die königliche Familie war über diese Anlagen informiert und hielt sie geheim, denn jeder Herrscher wusste, dass vielleicht mal der Tag anbrach, an dem er eilig das Weite suchen musste. Und so konnte Douglas sämtliche Abwehreinrichtungen umgehen, die Finn zum eigenen Schutz angelegt hatte, tauchte schließlich aus einer sehr geheimen und getarnten Vertäfelung auf und betrat etwas, das einst seine Privatunterkunft gewesen war.

Er blickte sich ohne Eile um und betrachtete die aktuellen Schäden und das ältere, tiefer sitzende Chaos, das seine ehemaligen Räume entstellte. Er rümpfte die Nase. Hier roch es so schlimm wie es aussah. Finn hatte sich verändert. Früher hatte er nie wie ein Schwein gehaust. Douglas konnte nicht umhin, sich zu fragen, was dieser Zustand der Räumlichkeiten über Finns derzeite Geistesverfassung aussagte. Vielleicht bedeutete es, dass Finn sich nicht mehr im Griff hatte. Douglas hoffte das. Und doch ... die Umgebung strahlte etwas Ungesundes aus, das noch über Schmutz und Durcheinander hinausging, Spuren eines Mannes, der sich nicht mehr für die alltäglichen Dinge des Menschseins interessierte.

Douglas runzelte die Stirn. Er wollte nicht, dass Finn verrückt war - denn dann würde es ja gar keinen Spaß mehr machen, ihn umzubringen.

Er entdeckte Finns Lektronenterminal, und mit Hilfe eines Apparates, der im Slum verbreitet benutzt wurde, aber überall sonst streng verboten war, erzwang sich Douglas den Zugriff auf Finns Dateien. Er brauchte nicht lange, um herauszufinden, wo der Imperator Anne verwahrte; aber warum hielt jemand eine politische Gefangene in einer Stahlkammer in einem Privatlabor fest? Unvermittelt auftretende, grauenhafte Vorstellungen von Folter weckten Ungeduld in Douglas, und er lief aus dem Zimmer. Vorsichtig tappte er durch die dunklen Korridore seines früheren Palastes. Seines Zuhauses. Er betrachtete die hängenden Leichen, die auf Spießen steckenden Köpfe, und sein Herz verhärtete sich. Er würde an einem solchen Ort keine Unschuldigen antreffen.

Und so brachte er sämtliche Wachleute, auf die er stieß, lautlos und wirkungsvoll um. Sie alle waren Fanatiker mit kalten Blicken, gut ausgebildet und motiviert, aber keiner war gut genug, um Douglas aufzuhalten. Er ließ die Leichen liegen, wo sie gefallen waren. Sollte jemand anderes sie finden und den Alarm auslösen. Sollte Finn ruhig erfahren, dass der Tod durch die Flure des usurpierten Palastes wandelte. Douglas setzte eilig seinen Weg fort durch Räumlichkeiten, die er von früher her kannte, die inzwischen aber von Finn in ein Schlachthaus verwandelt worden waren. Manches von dem vergossenen Blut war noch nass. Douglas' Lippen dehnten sich langsam zu einem kalten Lächeln. Nur ein Grund mehr, seinen alten Freund umzubringen.

Er fand das Labor ohne große Mühe und runzelte die Stirn, als er feststellte, dass die Tür unbewacht war. Er näherte sich ihr wachsam und hielt sich für Fallen oder Überraschungsangriffe bereit, aber nichts geschah. Er drückte sachte die Fingerspitzen an die Tür, und sie schwenkte mühelos auf, gab dem Druck der Finger ohne Widerstand nach. So so. Eine Falle, eine Einladung, den Raum dahinter zu betreten. Douglas lachte, und es klang rau und hässlich. Er klappte die Kapuze des Umhangs zurück und gab damit den Blick in sein Gesicht frei, damit hier jeder wusste, wer gekommen war; dann beförderte er die Tür mit einem Tritt ganz auf und stürmte ins Labor, Schwert und Pistole in den Händen. Ein kurzer Blick in die Runde, aber alles hier war verlassen. Ein paar Geräte summten und schnatterten noch vor sich hin, während sie an unbekannten Aufgaben arbeiteten, aber die meiste Tech hier war abgeschaltet. Tierkäfige standen an einer Wand aufgestapelt, aber sie waren alle leer. Die Hälfte der Lampen war ausgeschaltet, sodass das halbe Labor im Dunkeln lag. Douglas rückte langsam vor und atmete dabei durch den Mund, damit ihm auch kein Geräusch entging; dann erstarrte er, als er eine einzelne Silhouette an der Rückseite des Labors entdeckte. Einen Augenblick lang standen sie beide nur da und musterten einander; dann trat Anne Barclay vor ins Licht.

Douglas schrie beinahe auf, als er sah, was man mit ihr angestellt hatte. Sie hing regelrecht gebückt an klobigen Apparaten, die aus ihrem Rücken ragten, und noch mehr Geräte zeigten sich hier und dort unter der geröteten Haut. Ihre Muskeln waren verformt von der Belastung durch implantierte Servomechanismen, und an der Seite des rasierten Schädels waren frische Narben zu sehen. Das Gesicht war nach wie vor Annes eigenes Gesicht, aber die Augen verbreiteten im matten Licht einen goldenen Glanz. Altes, hervorstehendes Narbengewebe bildete hässliche Muster auf dem nackten Körper. Sie trat schwankend einen weiteren Schritt vor; der umgebaute Körper verlieh ihr Kraft, aber keinerlei Eleganz. Anne entdeckte das Grauen in Douglas' Zügen und zeigte eine Andeutung ihres früheren Lächelns.

»Hallo Douglas. Falls du gekommen bist, um mich zu retten, kommst du ein bisschen spät.«
»Was haben sie mit dir gemacht, Anne?«, fragte Douglas leise.
»Oh, sie haben verflucht viel mit mir gemacht, Douglas, und alles nur wegen dir. Du hast mir das mit deinem dramatischen Ausbruch aus dem Gericht angetan. Natürlich warst du so damit beschäftigt zu entkommen, dass du keinen Blick zurück geworfen hast, um zu sehen, was die einstürzenden Mauern aus mir machten. Aber das war noch nicht das Schlimmste, was du getan hast. Du bist geflohen und hast mich nicht mitgenommen. Und somit ist im Grunde alles, was jetzt geschieht, deine Schuld.«
Sie hob eine Hand, und eine Disruptormündung tauchte aus einem Schlitz unter dem Handgelenk auf. Douglas warf sich zur Seite, und der Energiestrahl streifte nur seine Rippen, verbrannte die Haut und setzte den Umhang in Brand. Er schleuderte ihn weg und duckte sich hinter eine schwere Apparatur.
»Anne, tu das nicht! Ich bin gekommen, um dich herauszuholen!«
»Zu spät, Douglas. Zu wenig und zu spät.« Sie schleuderte das schwere Gerät mit einem kräftigen Schub zur Seite und ging auf Douglas los, ein Schwert in jeder Hand. Douglas zielte widerstrebend mit dem Disruptor auf sie, aber im letzten Augenblick schoss er auf ein Bein, wollte sie nur verletzen. Anne wich dem Strahl mühelos aus. Und dann war sie auf ihm. Die beiden Schwertklingen wirbelten so schnell, dass ihnen ein menschliches Auge nicht mehr folgen konnte, und Douglas musste Schritt für Schritt zurückweichen und seine ganze Geschicklichkeit und Kraft nur zur Verteidigung aufbieten. Er war ein zehnmal besserer Schwertkämpfer als sie, aber sie war zehnmal stärker und schneller.
Der Kampf tobte kreuz und quer durchs Labor, und überall ging empfindliche Tech zu Bruch. Douglas setzte jeden Trick und jede Technik in seinem Arsenal ein, nur um am Leben zu bleiben. Anne war mit Tech und Medikamenten und dem Aufwind neu aufgebaut worden und verfügte inzwischen über unmenschliche Fähigkeiten. Douglas kämpfte sich aus einer Ecke frei, in der sie ihn festnageln wollte, aber sein Atem ging schon schwer und rau, und der Schwertarm schmerzte von der Abwehr bösartig harter Schläge. Er wusste jetzt, dass er Anne nur aufhalten konnte, indem er sie tötete, und er wusste nicht recht, ob er das fertig brachte.
Also tat er das Einzige, was ihm einfiel. Er ließ Schwert und Pistole fallen und stand mit leeren Händen vor ihr. Anne erstarrte völlig und prüfte die Möglichkeit einer Falle oder List.
»Anne«, sagte Douglas. »Ich bin es! Erinnere dich doch. Denk daran zurück, wie es einmal war. Wir waren Freunde. Und von allen meinen Freunden scheine ich dir am meisten wehgetan zu haben. Das war nie meine Absicht. Ich werde dich nicht töten, Anne. Du ... musst tun, was du tun musst.«
Anne senkte langsam die Schwerter. »Verdammt, Douglas, das ist nicht fair! Ich muss dich einfach umbringen!«
»Dann tu es.«
»Du wirst mich nicht töten? Du wirst mir nicht mal diesen letzten Gefallen erweisen? Denkst du, ich möchte so weiterleben?«
»Komm mit mir in den Slum, Anne. Dort verfügt man über diverse technische Hilfsmittel, auch solche von Fremdwesen. Es muss einfach jemanden geben, der dir helfen kann. Der reparieren kann, was diese Mistkerle dir angetan haben. Gib nicht einfach auf! Die Anne, die ich kenne, hielt nie viel vom Aufgeben. Es ist niemals zu spät...«
»Für mich schon. Ich hätte sterben sollen. Das ist meine Strafe. Ich habe aufgrund der entsetzlichen Taten, die ich begangen habe, alles verdient, was mir widerfahren ist. Du hast ja keine Ahnung ...«
»Anne, ich ...«
»Du hast ja keine Ahnung! Ich habe Emma Stahl umgebracht! Den besten Menschen, den ich je kannte. Sie war zehnmal so viel wert wie ich, und ich habe sie von hinten niedergestreckt.«
»Dann folge mir und kämpfe für die Rebellion. Suche Sühne auf dem Schlachtfeld.«
»Du nimmst mich wieder auf? Nach allem, was ich getan habe? Was ich dir und Jesamine und Lewis angetan habe?«
»Dazu sind Freunde da«, sagte Douglas.
»Du warst schon immer zu weich.«
»Nun, das ist ja alles sehr anrührend«, ließ sich Finn auf einmal über die Tech in Annes Hals vernehmen, wie ein Elf, der sich über seinen Gedankensklaven zu Wort meldete. »Aber ich habe nun mal diesen Ausbruch von rührseliger Sentimentalität vorhergesehen und einige Vorkehrungen getroffen. Keine sehr netten Vorkehrungen, aber so ist nun mal das Leben. Tut mir so Leid, dass ich nicht persönlich zugegen sein kann, Douglas, aber sei versichert, dass Anne zwar den tödlichen Hieb mit dem Schwert führen wird, aber es dank des Programms in ihren Lektronenimplantaten in Wirklichkeit meine Befehle in ihrer Hand sein werden. Somit bin ich also im Geiste sehr wohl zugegen.«
Er sprach ein Befehlswort, und Annes Gesicht wurde ausdruckslos, und sie nahm sofort die nötige Haltung für den tödlichen Hieb ein. Douglas warf einen Blick auf die Waffen, die vor ihm am Boden lagen, aber er konnte sie unmöglich rechtzeitig pakken. Also stand er einfach nur da, groß und stolz und ohne mit der Wimper zu zucken. Wenn nichts mehr bleibt als der Tod, sollte man gut sterben.
Doch dann schrie Anne. Es klang scheußlich und gepeinigt. Sie ließ beide Schwerter fallen. Douglas traf Anstalten, auf sie zuzugehen, erstarrte aber von neuem, als Anne mit dem Handgelenkdisruptor auf ihn zielte. Sie lächelte Douglas kurz an.
»Leb wohl, alter Freund. Ich habe dich so oft verraten, aber das wäre ein Verrat zu viel gewesen. Ich schätze, sie haben mich besser gemacht, als sie selbst ahnten. Also - ein letzter Schuss. Eine letzte Chance auf Erlösung.«
Sie hob die Hand, kämpfte dabei die ganze Zeit gegen ihre Lektronen an und schoss sich in den Kopf. Auf die kurze Distanz riss der Energiestrahl den Schädel auseinander. Blut und Hirn spritzten durch die Gegend. Der kopflose Körper schaukelte kurz auf den Beinen hin und her und stand dann reglos.
Finn hetzte seine Leute aus allen Richtungen auf Douglas, aber als sie das Labor erreichten, war dieser schon verschwunden. Er zog eine Spur aus Toten nach sich, während er sich den Weg zurück durch den Palast bahnte, und verschwand schließlich wieder in den unterirdischen Anlagen. Und auf dem ganzen Weg plante er schon die ersten Schritte der Rebellion. Die Zeit für den Aufstand war gekommen. Denn wenn Finn der einzigen Frau, die sich jemals mehr als einen Dreck aus ihm gemacht hatte, solch grauenhafte Dinge antun konnte, dann war er zu allem fähig. Überhaupt allem.

KAPITEL SIEBEN